Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel
immer, dass ich jüdisch bin. Wir haben uns in der siebten Klasse angefreundet, als einer von den Jungen sich darüber lustig machen wollte, dass ich Jude war, und Rosa ihn unter ihren dunklen Augenbrauen wütend anfunkelte und ihn anfauchte, er sei borniert und habe Vorurteile. Sie wollte erst wieder mit ihm reden, wenn er es zurücknahm.
Am anderen Ende der Leitung – Stille.
Ich fing an zu stammeln: »Ich … bin ein Schulfreund von ihr, und ich weiß, dass sie in Florida ist, aber ich weiß nicht, wo, und ich dachte, Sie sind vielleicht Ihr Vater …«
»Sie haben sich verwählt, Mister.«
Ein lautes Klicken; das war alles. Im Badezimmer prasselte die Dusche. Julian fing an zu singen.
Auch Julian hatte Telefonate zu erledigen. Er tat es von Motelzimmern aus, spätnachmittags, wenn er gerade aufgestanden und ich noch gar nicht richtig wach war. Seine Stimme stahl sich in mein Unterbewusstsein, verwob sich mit meinen Träumen. Immer wieder bildete ich mir ein, ich hörte, wie er der Vermittlung sagte, sie solle die Anrufe Alfred K. Bender in Rechnung stellen.
Bender? Der Bender aus Bridgeport, Connecticut, den die Männer in Schwarz vor zehn Jahren zum Schweigen gebracht hatten? Warum sollte er Julians Telefongespräche bezahlen?
Julian telefonierte von Jacksonville aus, kurz bevor wir zur letzten Nachtfahrt nach Miami aufbrachen. »Gute Nachrichten«, sagte er, als er auflegte. »Rochelle landet morgen Abend in Miami. 22:04 Uhr. Wir sollen sie am Flughafen abholen.«
Ich setzte mich im Bett auf. Dreißig Sekunden vorher hatte ich noch geschlafen. Mein Traum – von Schule, von Kindern, von einem Klassenzimmer ohne Rosa – entglitt mir wie ein Luftballon. Ich wusste nicht, ob mein Herz wegen des Traumes so heftig schlug oder weil Julian das eben gesagt hatte.
»Aus New Mexico?«, fragte ich.
»Genau. Da ist sie fertig. Sie meinte, dort gibt es für uns nichts zu holen.«
»Was hatte sie denn erwartet?«
Julian antwortete nicht. Am Abend, bevor wir Pennsylvania
hinter uns ließen, hatte er angerufen, um zu sagen, dass ich mit ihm fahren würde, nicht mit Rochelle. Ich war erleichtert, dann enttäuscht, dann wieder erleichtert. Rochelle war nach New Mexico bestellt worden, sagte er, in einer dringenden Angelegenheit. Er wollte mir nicht verraten, in welcher. Hätte ich ihn danach gefragt, hätte er mir vermutlich erzählt, was ich eigentlich wissen wollte – ob sie und Tom zusammen unterwegs waren. Aber ich traute mich nicht zu fragen.
»Sie ist sicher, dass das Buch im Haus vom alten Jessup ist«, sagte er, während er seinen Koffer auf dem Bett auskippte. »Wir werden reingehen und nachsehen.«
Ich stand auf und begann mich anzuziehen. Ich kannte Rochelles Theorie schon: Jessups Okkultistenfreunde hatten das Buch von der Polizei besorgt und es im Haus des Toten versteckt, damit sein Geist ungestörten Zugang dazu hatte. Das mit dem »reingehen und nachsehen« war neu und eher beunruhigend. Ich beschloss, es lieber dabei zu belassen und mich aufs Anziehen und Packen zu konzentrieren. Dann beschloss ich, das doch lieber nicht zu tun.
»Wie meinst du das – wir gehen rein?«, fragte ich.
»Genau so. Wir gehen rein. Ohne Erlaubnis der momentanen Besitzer. Und hoffentlich auch ohne ihr Wissen … Was glotzt du mich so an?«
»Ich hätte einfach nicht gedacht, dass ich als Mitglied der Super Science Society eine kriminelle Laufbahn einschlagen müsste.«
Er seufzte. »So dramatisch würde ich es nicht formulieren. Von einer kriminellen Laufbahn kann kaum die Rede sein, zumindest nicht in diesem Stadium. Wir wollen lediglich die kommentierte Ausgabe von Tatsache UFO stehlen, von dem die Leute, die Jessups Haus gekauft haben, sowieso nichts wissen. Deren Eigentum werden wir nicht anrühren. Es sei denn,
du hättest eine gewisse Vorliebe für Messingleuchter. Oder dekorative Uhren?«
»Selbstverständlich nicht …«
»Natürlich vorausgesetzt, das Buch ist überhaupt da. Aber so ist Rochelle nun mal. Hat sie erst eine Idee im Kopf, lässt sie nicht locker, bis sie alles ausprobiert hat. Um jeden Preis.«
»Julian. Ich weiß, wie wichtig es ist, dieses Buch zu finden. Aber es gibt Grenzen, Julian.«
»Nicht mehr für uns. Wenn wir es erst haben.«
»Was meinst du damit?«
»Ach, weißt du …« Er drückte die Luft aus dem Sack, in dem wir unsere schmutzige Unterwäsche aufbewahrten, um ihn in seinen Koffer zu stopfen. Ich sagte mir, dass ich es wahrscheinlich längst gewusst
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