Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel
niederträchtigsten aller Söhne zu verdammen. Der seiner eigenen Mutter den Tod wünschte …
»Tut mir leid«, sagte ich. »So habe ich es nicht gemeint.«
Der Tod kommt zu jeder Jahreszeit.
»Es ist doch nur für diesen einen Sommer«, sagte ich. »Und ich habe sie noch nie allein gelassen.«
Stille. Dann seufzte er. Er beugte sich zum Wasser und trank. In diesem Moment sah er aus wie eine der Blasen im Wasser. Ich wusste, dass er im Begriff war, mich langsam zu vergessen, und ich fürchtete mich. Zwölf Jahre hatte ich darauf gewartet, mit ihm sprechen zu können, und wir würden es nie wieder tun.
»Ich habe ein Buch«, sagte ich.
Er blickte auf, und es schien, als zeigte er Interesse.
Ein Buch?
»Wie die alten hebräischen Bücher, die du früher gelesen hast. Da gibt es einen Text und einen Kommentar, aber der Kommentar ist wichtiger als der Text. So vieles davon verstehe ich nicht.«
Er nickte.
»Ich möchte, dass du es mir erklärst. So wie damals, als ich noch klein war.«
Er stieg aus dem Wasser und setzte sich neben mich. Ich
wollte ihn so gern berühren, doch ich traute mich nicht. Ich schlug eine Seite von Tatsache UFO auf, für die ich kein Lesezeichen brauchte, da ich schon so oft zu ihr hingeblättert hatte, dass ich sie im Schlaf hätte finden können. Laut las ich vor:
Welch Narren sind die Gaiyars! Sie nennen uns Aliens … Von jeher sind wir Teil von ihnen, Bein von ihrem Bein, Fleisch von ihrem Fleisch …
– bis ich zu den Worten kam:
Es stimmt, wir sind ein Teil von ihnen, in sie eingebettet, in Geist und Fleisch, vom Tage ihrer Geburt an. UND DENNOCH …
Von einem Ende des Universums zum anderen und auf allen seinen zahllosen Planeten und ungezählten Monden … Es gibt niemanden, der fremder ist als wir.
Wieder nickte er.
Der Tod.
»Der Tod?«, fragte ich.
Doch ich verstand schon, genau wie er. Der Tod – unabwendbarer und vertrautester Teil unseres Selbst, Bein von unserem Bein, Fleisch von unserem Fleisch, vom Augenblick unserer Geburt. Aber eben auch der Tod – das Fremde. Das Befremdlichste alles Fremden! Durch ihn bin ich nicht mehr ich. Ich bin ein Nichts. Die Zigeuner hatten recht. Ich kann mir eher den phantastischsten Stern am Rande der fernsten Galaxie vorstellen, die unbegreiflichste, unmenschlichste intelligente Lebensform – als dass ich den Tod begreifen kann.
Und wer von allen Menschen, die ich kenne – Jeff, die anderen
in der Schule, Rosa, wo sie auch sein mag –, kann mich begreifen?
Die Felsenhöhlung, das leuchtende Wasser, das daraus sprudelte, die nackten, kindergleichen menschlichen Blasen, die durchs Wasser wirbelten – alles drehte sich vor meinen Augen, als ich die Bedeutung dessen, was die Zigeuner meinten, begriff. Ich dachte, ich würde in Ohnmacht fallen. Um mich zu stützen, griff ich nach seiner Hand.
»Das ist nicht wahr!«, rief ich.
Zu spät, es zu erklären. Ich versuchte es trotzdem. »Was ich meine, ist …«, sagte ich, »… du bist tot. Man hat dich in der Erde begraben. Und doch bist du mir nicht fremd. Du bist immer noch mein Opa. Ich habe dich sofort erkannt. Weißt du nicht mehr? Du hast mich auch erkannt.«
Zu spät.
Er platzte in dem Moment, als ich ihn berührte, denn schließlich war er eine Blase. Verzweifelt wurde ich Zeuge, wie er sich vor meinen Augen in Wasser auflöste und eins wurde mit dem endlosen Strom.
Die Felswand war rutschig von der Gischt unter mir. Und doch war sie rau und schürfte meine nackte Haut beim Klettern auf. Wenn ich hinuntersähe, würde mir schwindlig werden, und ich würde abstürzen, also zwang ich mich dazu, nur nach oben zu sehen, zum Eingang des Tunnels. Der Fels war mindestens zehn Meter hoch. Ich gab mir alle Mühe, Tatsache UFO nicht zu verlieren.
Die Höhlung bog sich nach innen. Mein rechter Fuß – der schmerzende – glitt ab.
Mein Körper schwenkte von der Felswand weg wie eine Tür in ihren Angeln. Mein Fuß trat ins Leere. Krampfhaft hielt ich das Buch mit meiner baumelnden Rechten. Ich darf es nicht
fallen lassen. Den anderen Fuß klemmte ich in eine Felsnische, und mit der linken Hand versuchte ich, mich festzuhalten und den Rest meines Körpers wieder an die Wand zu ziehen. Ich blickte hinab.
Sah die Felsen, auf denen ich zerschmettert werden würde. Sah die Seelenblasen, die mit ihrer eigenen Unendlichkeit beschäftigt waren, gleichgültig diesem fleischlichen Menschen gegenüber, der vor Todesangst schreiend ein Stück weit über ihnen in
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