Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel
Auch aus anderen Büchern. Doch ich erinnerte mich vor allem an die Bibel.
»Ich bin nicht Asher«, erklärte ich.
Wer bist du dann?
Ich hätte ihm meinen Namen gesagt, aber ich konnte mich nicht erinnern. An dem Ort, an dem ich gewesen war, geraten Namen in Vergessenheit. Das musste hier wohl auch so sein. »Du bist mein Großvater«, sagte ich.
Er schleppte sich aus dem Wasser und setzte sich auf den hockerförmigen Felsen daneben. Der Bach hatte die Form herausgebildet, in Hunderten, wenn nicht Tausenden von Jahren.
Er war blass und nackt, ein riesengroßes, plumpes Baby, seine Haut schillernd wie eine Seifenblase.
Ich hätte so gern noch mal auf seinem Schoß gesessen, aber ich fürchtete, er würde platzen. Er deutete auf einen Felsen neben seinem. Ich setzte mich und drückte Tatsache UFO an meine Brust, um es vor dem Wasser zu schützen, das aus dem Teich aufspritzte. Ich musterte meine Beine, unnatürlich braun gefärbt. Sie bildeten einen seltsamen Gegensatz zur Blässe meines Großvaters. Das klare Wasser würde die Farbe vermutlich abwaschen, wenn ich darin badete. Doch ich wollte es nicht versuchen. Ich war noch nicht so weit, dass ich eine Seele werden wollte.
Er fragte: Warum bist du allein?
Was sollte ich sonst sein?, wollte ich erwidern. Ich war schon immer allein. Bevor meine Mutter krank wurde, hätte ich vielleicht Freunde haben können. Aber die hatte ich nicht, und dann wurde sie krank.
»Du solltest stolz auf mich sein«, sagte ich. »Ich habe einen Wettbewerb gewonnen. Es ging um die Bibel, und ich habe die Bibel gelesen, bis ich sie besser kannte als alle anderen. Ich habe einen Aufsatz über die Bibel geschrieben, darüber, dass es einem so vorkommen kann, als würde die Zeit zugleich schnell und langsam vergehen. Dann bin ich nach New York gefahren und konnte die Fragen besser beantworten als alle anderen. So habe ich gewonnen.«
Ich erzählte ihm nichts von den UFOs. Ich glaubte nicht, dass er mich verstehen würde.
»Ich habe sie auf Englisch gelesen«, sagte ich. »Ich spreche nicht Hebräisch, so wie du. Aber diesen Sommer werde ich es lernen. Ich bin bis Ende August in Israel. Das war der erste Preis.«
Ich hatte mir immer gewünscht, dass er mir Hebräisch beibringen
würde. Ich wollte diese merkwürdig klingenden Worte verstehen, diese sperrige Schrift, der er sich mit so viel Liebe widmete. Doch wir kamen nie über die Zeitungscomics hinaus – und manchmal ein paar Bibelzeilen auf Englisch. Dann starb er.
Warum bist du nicht bei deiner Mutter?
»Wie bitte?«
Ich spürte den Tadel in seinen Worten. Ich redete weiter, ein wenig verzweifelt. Ich hatte ihn mehr geliebt, als ich meinen Vater je geliebt hatte. Es gab Zeiten, in denen ich wünschte, nicht er, sondern mein Vater wäre gestorben. Er hätte mich nie mit meinen Pickeln gequält. Er hätte mich in seinem Wagen mitgenommen und mir gezeigt, wie man Auto fährt, mit ebenso viel Geduld, wie er mir das Lesen beigebracht hatte.
»Erinnerst du dich nicht?«, fragte ich. »Du wolltest immer nach Israel fahren. An dem Abend, als die Vereinten Nationen dafür stimmten, dass Israel gegründet werden sollte, warst du so glücklich, dass du geweint hast. Da war ich noch nicht auf der Welt, aber Oma hat es mir erzählt. Und jahrein, jahraus hast du Geld gespart und wärst auch gefahren, aber dieser Herzinfarkt …«
Warum bist du nicht bei deiner Mutter?
»Gott im Himmel, ich fahre doch nur für den Sommer hin! Sie wird schon zurechtkommen. Sie hat mir versprochen …«
Doch was bedeutet das Versprechen einer Kranken? Mach dir keine Sorgen um mich. Ich komme schon zurecht! Tränen liefen über ihre Wangen, während sie redete, als würden wir für immer Abschied nehmen, nicht nur für acht Wochen.
WARUM BIST DU NICHT BEI DEINER MUTTER?
Lauter jetzt, in meinem Kopf und möglicherweise auch in meinen Ohren. Ich wusste genau, was von mir erwartet wurde. Dass ich weinend zusammenbrach, dass ich um Vergebung
winselte und versprach, sofort nach Hause zu fahren und bei ihr zu sitzen. Zorn schnürte mir die Kehle zu, so heftig wie in dem Moment, als ich auf dieser Kreatur aus dem See gehockt und ihr Gesicht auf den Boden geschlagen hatte.
»Warum ist sie nicht bei dir?«, schrie ich.
Mein Körper zuckte bei jedem Herzschlag, während meine Stimme von den Wänden der Senke widerhallte und ich merkte, was ich da gerade gesagt hatte. Ich überlegte, ob die Seelen sich allesamt gemeinsam abwenden würden, um mich als den
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