Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel
mich nicht. Er gähnte und rutschte auf seinem Stuhl herum. Gedankenverloren blickte er zur Tür hinaus, dann wieder zu mir. Dann widmete er sich seinen Perlen.
Natürlich. Ich war noch immer unsichtbar.
Ein halbes Dutzend Männer hockte im Schneidersitz in einem kleinen Kreis auf dem Teppich und rezitierte etwas, das ich für ein Gebet hielt. Ein Mann war älter als die anderen. Er trug einen kleinen, weinroten Fes, mit schneeweißem Tuch umwickelt. Seine Augen waren geschlossen und eingefallen.
Ya nabi, salam alaika, marhaban;
Ya rasul, salam alaika, ma’a salam.
O Bote, Friede sei mit dir. Wir heißen dich willkommen … Irgendwie, ich weiß nicht wie, erahnte ich die Bedeutung der Worte, die sie immer wieder sangen. Ich muss wohl nach Luft geschnappt haben, nicht laut, aber offenbar zu laut. Der Blinde, der den Gesang leitete, hob den Kopf. Er rief mir etwas auf Arabisch zu. Er lächelte freundlich und deutete auf eine Stelle neben sich am Boden. Ich erwiderte sein Lächeln, obwohl mich niemand sehen konnte. Ich schüttelte den Kopf. Die anderen blickten zu mir herüber. Dann sah einer von ihnen seinen Nebenmann an. Er neigte den Kopf und tippte sich mit dem Finger an die Stirn – Der Alte ist verrückt.
Der untergehende Mond wölbte sich, als wäre er ein bisschen schwanger. Er tauchte die steinerne Plattform um den Felsendom in fahles Licht. Ich war allein. Knorrige Bäume bogen sich unter der Last ihres Laubs, das in der nächtlichen Brise raschelte.
Über eine lange, gewundene Rampe lief ich hinunter in die verschlossene Stadt. Wie ein Geist bewegte ich mich durch die Straßen. Ich kam an verdunkelten Läden mit steinernen Torbogen vorbei. Junge Männer in Hosen und Hemden mit offenem Kragen gingen in kleinen Gruppen, eng beisammen, lachten und redeten. Ich drückte mich an eine Mauer, wenn sie an mir vorübergingen. Ich schlüpfte durch ein Tor mit Türmchen, flankiert von imposanten Türmen, an einer hohen weißen Säule vorbei, genauso stumm und einsam wie ich selbst.
Ging ich, oder schwebte ich? Ich kann mich nicht erinnern. Ebenso wenig kann ich mich daran erinnern, was mich lenkte, woher ich wusste, in welche Straße ich einbiegen musste, welches der identisch aussehenden Häuser ihres war. Ich ging hinein und stieg zwei oder vielleicht drei Treppen hinauf. Der Klingelknopf an der Wand leuchtete wie ein matter, orangefarbener Mond. Als ich daraufdrückte, hörte ich ein leises Summen. Ich wartete, dass sie zur Tür kam.
KAPITEL 26
»Danny.«
Sie sah älter aus als an dem Abend im SSS-Haus, als Julian uns einander vorgestellt hatte. Ihr Haar fiel locker auf die Schultern. Ihre schweren Brüste zeichneten sich unter ihrem Nachthemd ab. Ihre braunen Augen sahen mich an, durch die dickste Brille, die ich je an einem menschlichen Wesen gesehen hatte.
»Du bist lange wach«, sagte ich.
»Ich schlafe in letzter Zeit nicht gut.«
Hinter ihr, am Ende eines Korbsofas, brannte eine Leselampe. In der Hand hielt sie ein dickes Buch, eingeschlagen in festes Papier. Die Gesammelten Werke von Guy de Maupassant,
auf Französisch. Sie hatte einen Finger in das Buch gesteckt, damit sie wusste, wo sie war.
»Ich habe schreckliche Träume«, sagte sie.
Rückwärts trat sie ins Zimmer. Ich folgte ihr. Sie schloss die Tür hinter mir. Ein grob gewebter Läufer in Rot, Weiß und Schwarz bedeckte einen Teil des Bodens, doch da, wo ich stand, war der Stein glatt und seidig. Irgendwo in der Wohnung tickte ein lauter Wecker.
»Du bist nackt«, sagte sie.
»Ich weiß.«
»Und deine Haut … na, egal. Jetzt kommst du wieder ins Sonnenlicht. Die Sonne wird dich heilen.«
Sie streckte ihren freien Arm aus, strich mit der Hand über meine Wange. Unter ihrer Berührung fühlte sich mein Gesicht sonderbar weich an, flauschig, als streichelte sie jemanden, der ich bisher noch nie gewesen war. Da erst wurde mir bewusst, dass ich nicht mehr unsichtbar sein konnte.
»Du hast einen Bart.«
»Ich bin älter geworden«, sagte ich. »Genau wie du.«
»Stimmt. Es ist drei Jahre her.«
Damals dreizehn. Heute sechzehn. Damals 1963. Heute 1966. Und auf meinem Gesicht – damals bartlos – sprossen Haare, ohne dass ich es gemerkt hätte. Kein Wunder, dass mein Großvater mich für seinen eigenen Vater gehalten hatte, den alten, backenbärtigen Asher aus Litauen.
»Aber frierst du denn gar nicht?«, fragte sie.
Da erst merkte ich – ja, ich fror. Wo ich gewesen war, gab es weder Hitze noch Kälte. Ich fing an
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