Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel
1966)
KAPITEL 24
Unter mir hörte ich lautes Scharren. Die Flugscheibe schleifte über den Fels, bis sie knirschend zum Stehen kam. Der Aufprall warf mich gegen die Kante der Schalttafel, wo ich zu Boden glitt und minutenlang liegen blieb.
Mein Bein … gebrochen? Doch der Schmerz ließ langsam nach, und ich merkte, dass es zum Glück nur eine schlimme Prellung war. Im Dunkeln hörte ich etwas, das klang, als würde unter mir ein Bach fließen. Ich versuchte mich zu erinnern, wie ich hierhergekommen war. Nur wenige Bilder waren mir geblieben. Die Scheibe, die ins All hinausraste, so schnell, wie ich sie fliegen lassen konnte. Bunte Lichter, die wie Meteore an mir vorüberschossen, weiß leuchtende Kugeln, die aufwärtsschwebten, auf so etwas wie einen Felsspalt zu, und mich mitnahmen. Dann das lange, knirschende Schleifen über nassen Fels.
Zumindest die Felsen waren keine Einbildung gewesen. Ich konnte sie schimmern sehen, durch die klaffende Öffnung im Rand der Scheibe. Dort floss ein Bach, schwach glitzernd. Sobald ich mich kräftig genug fühlte, um aufzustehen, stieg ich vorsichtig aus und sah mich nach Sonnen oder Monden um, die zu dieser neuen Welt gehören mochten. Es gab keine. Ich befand mich in einer Höhle, breit und hoch, doch ohne eine Öffnung, durch die Licht hereinfallen konnte. Erst nach und nach begriff ich, dass das Wasser die Quelle seines eigenen Lichts war – es leuchtete aus sich selbst heraus, als hätte Licht sich irgendwie verflüssigt.
Die Scheibe, die ich geflogen hatte, war ein dunkles, demoliertes Ding, dessen Außenhaut an dutzenden Stellen aufgerissen war. Ich würde sie nie wieder fliegen. Ich kroch hinein, um Tatsache UFO zu holen, dann humpelte ich stromaufwärts und ließ sie hinter mir zurück.
Der Anstieg wurde steiler, die Höhle schmaler. Das Rauschen des Baches wurde lauter. Wände bildeten sich aus der Finsternis heraus, zu hoch jedoch, als dass das Licht des Wassers sie hätte ausleuchten können. Der Bach taumelte mir als Wasserfall entgegen und verwandelte sich in einen Regenbogen, während er von Fels zu Fels fiel. Oft blieb ich stehen, um mich auszuruhen. Und doch dauerte es nicht lange, bis ich die letzte Biegung des Baches hinter mich gebracht hatte und eine riesige runde Senke wie im Inneren einer Kugel vor mir sah. Leuchtendes Wasser gluckerte weit unten aus der Felswand.
Ich schaute hinab: Die Quelle speiste einen klaren, sprudelnden Teich, in den ich gern gesprungen wäre. Ich blickte auf und sah die trüben Umrisse eines gewaltigen Steinschädels, dessen Dach eine sanfte Rundung zeigte, mit einer zyklopischen Augenhöhle weit oben, im Dunkel kaum noch zu erkennen. Das war die Öffnung des Schachts, der hier herausführte, zu dem ich früher oder später emporklettern musste.
Der Quell der Seelen.
Ich war von all den Toten umgeben, die sich an der Quelle unter dem Felsendom in Jerusalem versammelten. Hierher kamen die Toten, um zu beten. Ich fragte mich, ob ich einer von ihnen war. Doch wenn ich tot wäre, hätten mein geschwollener Fuß und das geprellte Bein nicht so wehtun dürfen. Außerdem sah ich den anderen gar nicht ähnlich. Sie waren weiß und kontur- und geschlechtslos, voneinander fast nicht zu unterscheiden, mit ihren pummeligen Gliedern und den kindlichen Gesichtern. Trotzdem handelte es sich bei einigen um
Männer und bei anderen um Frauen. Irgendwie konnte ich sie auseinanderhalten.
Sie badeten im Teich. Sie tranken davon. Sie streckten sich auf den vom Wasser geschliffenen Felsen am Ufer. Sie beachteten mich nicht, und ich vermutete, dass ich für sie unsichtbar war. Das UFO macht seine Insassen – wie das Navy-Schiff bei dem Experiment – unsichtbar. Einige erholen sich danach, die meisten jedoch nicht. Ich stellte mir vor, dass mich die Toten ebenso wenig sehen konnten wie die Lebenden.
Asher!
Die Stimme erklang eher in meinem Kopf als in meinen Ohren. Erst dachte ich, sie sagte Asche und meinte die Welt, aus der ich gekommen war. Doch dann rief sie erneut, und diesmal erkannte ich die Seele und wusste, dass man mich rief.
Er sah mich also. Aber wusste er auch, wer ich war? Oder hielt er mich für seinen Vater?
Ich war vier, als er starb. Im Jahr davor hatte er mir das Lesen beigebracht, mit den Comics der Tageszeitung, ich auf seinem Schoß, auf der Veranda des großen alten Hauses, das ihm und meiner Großmutter gehörte, wo er an Sabbatnachmittagen saß und aus seinen alten, hebräischen Büchern vorlas. Aus der Bibel.
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