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Der Tag an dem die Sonne verschwand

Titel: Der Tag an dem die Sonne verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Domian
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wieder aus dem Staub. Es war immer schneller, mechanischer, herzloser Sex. Seit der Trennung von Asha ist er zu keiner Frau mehr zärtlich gewesen.
    In den ersten Jahren ihrer Beziehung stellte sich heraus, dass Asha keine Kinder bekommen konnte, was Finn sehr erschütterte, da er sich zeit seines Lebens Kinder gewünscht hatte. Aber die Liebe zu dieser Frau war stärker als sein Kinderwunsch. Niemals hätte er sie wegen ihrer Unfruchtbarkeit verlassen. Nachdem er es geschafft hatte, die Dinge zu akzeptieren, wie sie waren, sei das Glück ungetrübt gewesen, sagt er.
    Mich beschämen die Erzählungen über seine große Liebe. Offensichtlich hat er mit allem abgeschlossen – und sich nichts vorzuwerfen. Ich kann mir so etwas überhaupt nicht vorstellen.
    Wie ich ihn darum beneide!
     
    Es ist seltsam, über ihn zu schreiben, wo er nur ein paar Meter von mir entfernt auf der Couch liegt. Er weiß, dass ich in den letzten Monaten oft geschrieben habe und wie gut mir das »Gespräch« mit dem Papier tut. Und tatsächlich: Auch jetzt, obwohl er da ist und ich mich mit einem realen Menschen unterhalten kann, gefällt es mir, meine Eindrücke und Gedanken zu Papier zu bringen. Ich sehe dann klarer, außerdem muss ich mit »jemandem« über Finn reden. Es ist ja alles so fremd. Anfangs war ich gehemmt zu schreiben. Hätte er es doch als Abgrenzung verstehen können. Aber auf Nachfrage meinte er, es sei ihm völlig egal, ich solle es ruhig tun, ihn störe es keineswegs.
    Gestern Abend hat er mir ein intimes Geheimnis anvertraut. Wir hatten ein paar Gläser Wein getrunken (ja, ich trinke, seit Finn hier ist, wieder Alkohol; nach meinem Besäufnis vor gut zwei Monaten mit Igor hatte ich ja keinen Tropfen mehr angerührt; meistens öffnen wir zum Abendessen ein Fläschchen, richtig betrunken allerdings haben wir uns noch nicht). Also das intime Geheimnis: Vor und nach seiner Zeit mit Asha hatte Finn hin und wieder etwas mit sehr viel älteren Frauen (die Betonung liegt hier auf dem Wort sehr!). Seine Älteste war achtundsechzig! Ja, achtundsechzig! Da war er Anfang zwanzig. Unglaublich!
    Ältere Frauen hatten etwas »Magisches« für ihn, sagt er, und damit meint er ihre erotische Ausstrahlung. All das, was andere als wenig oder gar nicht attraktiv beurteilten, bisweilen sogar abstoßend fanden, gerade das zog ihn an, war für ihn eine Attraktion: zerfurchte Haut, verdorrtes Fleisch, hängendes Gewebe, der Geruch des Alters. Aber es ging immer nur um Sex, niemals hätte er sich in eine alte Frau verlieben können. Er lernte die Frauen immer in irgendwelchen Kneipen kennen und baggerte sie dort an. Sie waren zunächst baff, verwirrt, auch skeptisch und konnten dann ihr Glück kaum fassen, in ihrem Alter einen so jungen Kerl zu bekommen und noch einmal leidenschaftlich begehrt zu werden.
    Wie vertrocknete Rosen seien sie gewesen, sagt Finn. Aber im Bett später, in seinen Armen, in den Armen eines nach Sperma und frischem Schweiß riechenden jungen Mannes, begannen sie aufzublühen – und blühten dann schöner und strahlender als früher, wohl in der Gewissheit, nun wirklich ein letztes, ein allerletztes Mal die »Liebe« genießen zu dürfen. Keine junge Frau könne einen jungen Mann so grandios verwöhnen, verführen, betören wie eine alte Frau, sagt Finn. Schon beim Kennenlernen habe er in ihren Augen die Sehnsucht gesehen. Und ihre Augen verrieten ihm auch ihre Liebeskünste. Er schlief immer nur einmal mit einer Alten. Denn er hatte die Erfahrung gemacht, dass sie nur ein einziges Mal noch die Kraft besaßen, so gierig, so leidenschaftlich, so bedingungslos nach dem Leben zu greifen. Danach seien sie müder und welker gewesen als vorher. Gerne wäre er noch in den Genuss einer etwa Achtzigjährigen gekommen. Aber dazu hatte die Zeit nicht mehr gereicht.
    Für mich ist das alles nicht nachvollziehbar. Nicht im Geringsten. Aber das muss es ja auch nicht.
     
    Übrigens lebt auch er seit dem 17. Juli ohne jegliche sexuelle Regung. Genauso wie ich hat er kein einziges Mal seit Beginn des Unglücks onaniert.
    Wie empfindet er wohl zurzeit? Würde er ebenfalls gerne mal wieder mit einer Frau schlafen? Ich habe ihn nicht danach gefragt, und ihm auch nichts von meinen aufkommenden Fantasien erzählt.
     
    Hätte er die Wahl in der derzeitigen Situation: Würde er mich gegen eine Frau eintauschen?

33. EINTRAG
    1. Februar. Draußen hat sich nichts verändert. Kein Niederschlag.
     
    Wir leben nach festen Regeln: Gegen acht Uhr

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