Der Tag, an dem du stirbst
dran», sagte D.D. und lächelte.
Sie ließ die Wagentür ins Schloss fallen und streifte mit ihren vliesgefütterten schwarzen Lederhandschuhen die schwarze Wollmütze über den Kopf. «Also, was liegt an?»
«Ein toter junger Mann drüben in der Gasse und ein verängstigtes Kind da vorn im Streifenwagen.»
«Ich dachte, es hätte was mit unseren Pädophilen zu tun.»
«Der Tote war einer. Das verängstigte Kind ist sein Opfer.»
D.D. sperrte beide Augen auf. «Es hat doch wohl nicht geschossen, oder?»
«Nein. Aber der Junge hat gesehen, wer geschossen hat. Eine Frau.» O grinste finster. «Kleine Person, kleine Waffe. Die verrücktesten blauen Augen auf der ganzen Welt, sagt der Kleine. Braune Haare, straff zurückgekämmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden.»
«Charlene Grant», murmelte D.D.
«Alias Abigail.»
D.D. beging zuerst den Tatort. Aus verkehrstechnischen Gründen hatte die Rechtsmedizin die Leiche bereits abholen lassen. Neil war nicht zur Stelle. Vermutlich begleitete er den Transport in die Pathologie. Phil hatte dienstfrei, also waren nur D.D. und Detective O im Einsatz. Weil die junge Kollegin schon eine Weile vor Ort war, beeilte sich D.D., so gut sie konnte.
Sie duckte sich unter dem Absperrband hindurch und entdeckte einen vagen Abdruck der abtransportierten Leiche im Schnee, der an einen Schneeengel erinnerte. Das großgewachsene Opfer war mit gespreizten Beinen und einem ausgestreckten Arm rücklings zu Boden gegangen. Die Umrisse des anderen, rechten Arms waren nicht zu erkennen. Vielleicht hatte er auf der Brust des Opfers gelegen. Vielleicht hatte er ihn auch vors Gesicht gehoben, als die Schüsse gefallen waren. Die Vorstellung verstörte D.D., denn es schien, dass hier jemand kaltblütig ermordet worden war.
«Wie alt?», fragte sie Detective O, die auf ihren zierlichen Pumps zitternd hinter ihr stand.
«Der kleine Zeuge meint, er sei sechzehn gewesen und habe Barry geheißen.»
«Und er hat sich an den Kleinen rangemacht?»
«Sieht so aus. Der Junge ist sieben. Er hat den Typen offenbar auf einer Spiele-Website kennengelernt und war mit ihm in der Stadtbibliothek verabredet. Dort hat er den Jungen nach draußen gelockt.»
D.D. schüttelte den Kopf. Auch nach Os Lektion über immer jünger werdende Sexualstraftäter konnte sie sich kaum vorstellen, dass sich ein Sechzehnjähriger an Kindern vergriff. «Konnte das Opfer schon identifiziert werden?»
«Noch nicht. Die Kollegen hören sich zurzeit in der näheren Umgebung um. Der junge Mann war zu Fuß unterwegs. Vielleicht erkennt ihn jemand aus der Nachbarschaft.»
«Das wird ja ein super Gespräch mit den Eltern», murmelte D.D. «Guten Tag, wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Sohn tot ist. Er wurde übrigens höchstwahrscheinlich getötet, weil er versucht hat, ein anderes Kind sexuell zu missbrauchen. Scheiße.»
Detective O sagte nichts; vielleicht dachte sie ähnlich.
«Der ältere Junge lockte den jüngeren also nach draußen und führte ihn hierher.» D.D. schaute sich um. Vor einer hohen Ziegelmauer reihten sich Müllcontainer, die offenbar zu dem angrenzenden Restaurant gehörten und trotz der Kälte einen scharfen Gestank absonderten. Die Gasse war zwar entlegen, aber nicht abgeschieden. Sie mündete in eine Nebenstraße und endete auf der anderen Seite vor einer schweren Metalltür, durch die, wie es schien, der Abfall aus dem Restaurant nach draußen gebracht wurde.
«Ich frage mich, ob der junge Mann diesen Ort vorher ausgewählt hat», überlegte D.D. laut. «Oder war es für ihn eine mehr oder weniger zufällige Gelegenheit, seinem Impuls nachzugeben? Der Siebenjährige ist ihm gefolgt, also könnte unser Teenager spontan gehandelt haben, nach dem Motto: Mal sehen, was geht.»
Detective O zuckte mit den Achseln – zu Recht, denn der Einzige, der diese Frage beantworten konnte, war tot.
«Er hatte gerade die Hose heruntergelassen, als diese Frau auftauchte», sagte O. «Der kleine Zeuge hat offenbar nicht bemerkt, dass sie ihnen gefolgt war. Aber sie scheint den Sechzehnjährigen gekannt und beschattet zu haben. Der Junge meinte, sie würde dieselbe Online-Game-Site nutzen wie er.»
D.D. richtete sich auf. «Wirklich? Das hieße, die Website wird genutzt, um Kinder aufzureißen und um Jagd auf Kinderschänder zu machen. Aber wie haben es der Pädophile und die Frau geschafft, ihre Opfer im wirklichen Leben zu stellen? Das kann doch nicht so einfach gewesen sein?»
«Wahrscheinlich hat
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