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Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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mein Gott …»
    Diesem Seufzer konnte sich D.D. anschließen. Sie starrte auf Phil. Phil starrte zurück. Und dann blickten beide auf den Tisch, auf die bunte Collage der beiden Frauenmorde.
    «Charlie», drängte D.D. «Erzählen Sie mir von Abigail. Versuchen Sie, sich zu erinnern. Es sieht so aus, als sei aus Abigail irgendwann, irgendwie eine Polizistin mit Namen Ellen O geworden, die mindestens drei Sexualstraftäter getötet hat. Vielleicht auch Ihre beiden besten Freundinnen. Ihre Schwester lebt und scheint es auch auf Sie abgesehen zu haben, Charlie. Sie will Sie töten, in wenigen Stunden.»

[zur Inhaltsübersicht]
    39. Kapitel
    Boxen ist eine relativ zivile Sportart, und das ist ein Problem.
    Man stellt sich dem Gegner, setzt nur die Fäuste ein und verzichtet auf Tiefschläge.
    Zur Selbstverteidigung eignet sich das geltende Regelwerk weniger gut. Es gibt wohl sehr viel effektivere Mittel im Kampf um Leben und Tod, insbesondere für ein Mädchen.
    Aber mir hat Boxen von Anfang an großen Spaß gemacht.
    Ich glaube fast, ich habe mein ganzes Leben darauf gewartet, meinem Widersacher gegenüberzutreten und ihm in die Augen zu blicken.
    Zum Glück bot mein Boxtrainer Dick auch Selbstverteidigungskurse für Frauen an. Er spielte nicht selten auf eine schwere Jugendzeit an, in der wüste Schlägereien die einfachste Lösung aller Probleme gewesen zu sein schienen. Er konnte mir einiges beibringen. Und J.T., mein Schießtrainer, war auch nicht von schlechten Eltern. Glauben Sie mir, wer mit allen schmutzigen Tricks kämpfen lernen will, sollte Rat suchen bei jemandem, der in einem Aufklärungsbataillon der Marines gedient hat. Solche Typen sind tatsächlich davon überzeugt, dass der Zweck alle Mittel heiligt.
    Ich hatte mich nie darüber beschwert und beschwerte mich auch jetzt während meiner letzten Vorbereitungen nicht.
    Viertel vor vier. Es wurde schon langsam dunkel.
    Die Nacht würde mir Schutz bieten. Ich überlegte, ob ich Toms Apartment verlassen, mein Schicksal in die Hand nehmen und versuchen sollte, begangene Fehler wettzumachen. Falls es dafür nicht schon zu spät war.
    Ich begann mit ein paar billigen Tricks und steckte zum Beispiel einen Kugelschreiber hinter das Pferdeschwanz-Gummi im Nacken, wo ich leicht an ihn herankommen würde. In Toms Kramschublade fand ich unter anderem eine lange weiße Sportsocke, in die ich vier Mono-Batterien steckte. Ich verknotete das Ende und schlug mir ein paar Mal probehalber in die Hand. Der Strumpf dehnte sich, das Aufprallgewicht war erheblich. Ich würde meine Schlagwaffe also auch auf Distanz wirksam einsetzen können.
    Aus dem Klebeband, das in der Schublade lag, bastelte ich mir eine feste Messerscheide, die ich mitsamt einem kurzen schartigen Küchenmesser am Fußgelenk befestigte. Ich hatte nicht gelernt, mit einem Messer zu kämpfen, und bezweifelte sogar, den Mumm zu haben, es tatsächlich auch einzusetzen. Aber verzweifelte Zeiten verlangen nach verzweifelten Mitteln.
    Irgendwann muss jeder sterben. Sei tapfer.
    Ich hörte Schritte im Flur und erstarrte. Es klopfte sacht an der Tür.
    «Ich bin’s», hörte ich Tom leise rufen. Er steckte seinen Schlüssel ins Schloss.
    Schnell sammelte ich die Sachen zusammen und ließ sie in meinen Hosentaschen verschwinden. Mein Herz raste, mein Atem ging stoßweise. Ich hatte gerade das Messer an meinem Bein angebracht und den Stiefel geschnürt, als Tom reinkam.
    Das Endspiel sollte wohl beginnen.
    21. Januar.
    Irgendwann muss jeder sterben. Sei tapfer.
    Wie es schien, hatte Detective Warrens schockierende Nachricht irgendwelche Schleusen in meinem Kopf geöffnet. Ich erinnerte mich tatsächlich und wundersamerweise an meine verschollene Schwester Abigail. Und wie ein Wunder offenbarten sich mir auch das Geheimnis von Detective O und die Bedeutung des Einundzwanzigsten. Ich ahnte, warum meine besten Freundinnen sterben mussten, und verstand sogar, wieso eine respektierte Mitarbeiterin der Sitte Jagd auf Päderasten gemacht, an jedem Tatort eine verstörende Nachricht hinterlassen und versucht hatte, mir ihre Verbrechen in die Schuhe zu schieben.
    Abigail tauchte aus meiner Erinnerung als ein Baby mit glänzenden braunen Augen auf, pummelig und sabbernd. Meine kleine Schwester, die ich von ganzem Herzen geliebt und verloren hatte. Ich hatte sie für tot gehalten. Aber wenn sie gestorben wäre, hätte ich dann nicht auch ihren Namen angenommen wie die meiner anderen Geschwister? Charlene Rosalind Carter

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