Der Tag, an dem du stirbst
schliefen sie. Sie hatten zwar verrenkt am Boden gelegen, aber auf ihren Gesichtern war kein Schrecken zu erkennen gewesen; von den Würgemalen abgesehen war ihnen kein Härchen gekrümmt worden.
Selbst in der Vergrößerung wirkten die Hämatome am Hals fast harmlos. Der Killer hatte nicht mehr Kraft aufgewendet als unbedingt nötig.
Und keines der Opfer hatte Widerstand geleistet, wie es schien, nicht einmal den Versuch unternommen, sich zu wehren.
Was wusste Abigail, was hatte sie in die Lage versetzt, zwei erwachsene Frauen derart präzise und sauber, ja fast zärtlich zu töten?
Es waren keine gewalttätigen Verbrechen. D.D. stockte und trat vor die weiße Tafel, um ihre Zwischenergebnisse niederzuschreiben. Abigails Motive waren fraglich, aber mit Mordlust oder Brutalität hatten sie nichts zu tun. Sie hasste ihre Opfer nicht. Sie hatte sie weder gefoltert noch misshandelt, auch post mortem nicht.
Sie hatte sie in ihren Wohnungen aufgesucht, ihr Vorhaben in die Tat umgesetzt und anschließend sauber gemacht. Alles fast klinisch rein und höchst penibel.
Abigail kannte beide Frauen, stand aber in keinem wirklich persönlichen Verhältnis zu ihnen. Anderenfalls hätte sie sie, wie es sonst typischerweise der Fall war, in entwürdigender Absicht zugerichtet, ihnen das Gesicht zerkratzt oder die Haare abgeschnitten. Am Ende des Spektrums gab es Mörder, die, zuerst von einem unwiderstehlichen Tötungswunsch getrieben, ihre Opfer nach vollendeter Tat aus Reue mit einer Decke verhüllten, zumindest das Gesicht, als wollten sie das Geschehene verbergen. Aber auch das traf in diesen Fällen nicht zu. Keine Wut, keine Scham. Klinisch.
Abigail hatte zwei Frauen getötet, weil es so sein musste. Sie hatte eine Art Ritual vollzogen, möglichst schnell und ohne unnötig Schmerzen zu verursachen. Danach hatte sie sauber gemacht. Vielleicht, um Spuren zu verwischen. Oder auch in einem Anflug von Reue, dachte D.D. Verstanden als Geste der Entschuldigung. Sorry, ich musste dich töten, aber dafür habe ich dir den Abwasch abgenommen, die Sofakissen aufgeschüttelt und den Boden gemoppt.
Doch das Motiv blieb ihr ein Rätsel. Wenn die Tat nicht persönlich motiviert war, weshalb hatte Abigail sie dann begangen? Um sich zu bereichern? Laut Quincy profitierte niemand vom Tod der beiden Frauen. Waren Rivalitäten im Spiel gewesen? Um die Gunst eines Mannes, um die Mitgliedschaft im Cheerleader-Team, um Beförderung im Job? Auch in dieser Hinsicht gab es keine Schnittmengen in den Fällen Menke und Knowles. Das jeweilige Umfeld der beiden lag über tausend Meilen voneinander entfernt. Die einzige Verbindung blieb ihre Freundschaft mit Charlene, und die gab nicht viel her.
D.D. machte sich an der Tafel Notizen in Form eines neuen Diagramms.
Sie beschloss, das Problem aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und die Frage nach dem Warum fürs Erste zurückzustellen.
Stattdessen beschäftigte sie sich mit dem Wie. Wie hatte es die Täterin – dass es sich um eine Frau handelte, stand für D.D. außer Zweifel – geschafft, eine andere Frau so mühelos zu töten?
Dank körperlicher Überlegenheit? Trotzdem, ein Mensch, der gewürgt wurde, wehrte sich mit Zähnen und Klauen; er trat mit den Füßen aus, setzte die Ellbogen ein. Und wäre der Tatort anschließend noch so sauber geputzt, es blieben zumindest am Mordopfer deutliche Spuren zurück. Prellungen, Schnittwunden, postmortale Widerlagerverletzungen.
An den Opfern hätten Haare oder Textilfasern gefunden werden müssen, Hautschuppen oder Blutspuren unter den Fingernägeln. Aufschluss hätten auch die Würgemale am Hals geben können. D.D. erinnerte sich, Blutergüsse gesehen zu haben, in denen die Umrisse von Ringen oder Abdrücke von Gürtelschnallen zu erkennen gewesen waren. Nach einer besonders wüsten Schlägerei zwischen zwei Frauen hatte sich sogar eine Haarspange auf der Wange der Toten abgezeichnet.
Im Fall von Randi Menke und Jackie Knowles schien es, als hätten sich die beiden Frauen schlicht und einfach erwürgen lassen. Dabei war die eine immerhin stark genug gewesen, sich von ihrem gewalttätigen Ehemann zu trennen, und die andere hatte sich noch vor ihrem dreißigsten Lebensjahr bis an die Spitze eines Großunternehmens durchgeboxt.
D.D. konnte es nicht glauben. Diese Frauen hatten sich zu wehren gewusst. Warum also hatten sie nicht gekämpft?
Ein weiblicher Killer …
Gift, dachte D.D. Für die meisten Mörderinnen war Gift die Waffe der Wahl.
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