Der Tag, an dem du stirbst
fragen. Er kennt beide Tatorte. Er war Profiler und weiß am besten, wie Verbrecher ticken. Es würde ihm gefallen. Rufen Sie ihn an.»
«Danke.»
«Keine Ursache. Halten Sie mich auf dem Laufenden. Vor allem am Einundzwanzigsten.»
«Wird gemacht. Alles Gute für Sie und Ihre Mädchen.»
«Alles Gute für Sie und Ihren kleinen Jungen.»
Beide Frauen seufzten und beendeten das Gespräch.
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15. Kapitel
Ich kam zu spät zu meiner Schicht. Das erste Mal überhaupt. Es ging nicht anders.
Den ganzen Weg zur U-Bahn-Station war ich gerannt, hatte dann aber trotzdem lange auf den Zug nach Cambridge warten müssen. Nach einem weiteren Sprint von sieben Minuten war ich mit triefender Nase und tränenden Augen in meiner Wohnung angekommen. Mrs. Beals war nicht zu Hause. Stattdessen hockte Tulip auf der Veranda.
Spontan hob ich den warmen, festen Körper der Hündin, die nicht meine war, vom Boden auf und vergrub mein Gesicht in ihren Nackenfalten. Tulip lehnte den Kopf an meine Schulter. Ich spürte, wie sie seufzte, erleichtert, wie es schien. So standen wir für eine Weile auf der Veranda: sie in meinen Armen, den Kopf an meine Schulter gelehnt.
Vielleicht habe ich ein bisschen geweint. Vielleicht hat sie mir die Tränen von den Wangen geleckt. Vielleicht habe ich ihr gesagt, dass ich sie liebe. Und vielleicht hat sie mir mit wedelndem Schwanz zu verstehen gegeben, dass auch sie mich liebt.
Ich trug Tulip in mein Schlafzimmer. Dass mich Frances, wenn sie dahinterkäme, vor die Tür setzen könnte, kümmerte mich nicht weiter. Mir blieb ja ohnehin nur noch wenig Zeit.
Stan Miller. Aufgespießt von Metallstangen. Blut, das ihm aus den Mundwinkeln sickerte. Gebrochene Augen, für immer und ewig auf mich gerichtet.
Ich stellte Tulip einen gefüllten Futternapf in mein Zimmer und ging über den Flur ins Badezimmer, um heiß und ausgiebig zu duschen. Ich schrubbte mich vom Kopf bis zu den Füßen, shampoonierte die Haare, spülte sie aus, behandelte sie mit Conditioner und fing mit der ganzen Prozedur noch einmal von vorn an.
Bildete ich mir nur ein, die Schmauchspuren an den Fingerspitzen riechen zu können, oder roch ich sie tatsächlich? Ich suchte den ganzen Körper nach anderen Überbleibseln meiner nächtlichen Aktion ab. Blut, Prellungen, was auch immer. Mir war, als hätte ich mich innerlich verändert, was sich dann ja wohl auch äußerlich zeigen müsste.
Aber … da war nichts. Meine Lederhandschuhe hatten meine vom Boxen lädierten Hände geschützt, als ich die Feuerleiter hinuntergestürmt war. Und dank der dicken Wintersachen war auch der Aufprall am Boden ohne Blessuren geblieben. Sogar mein Sprunggelenk schien wieder in Ordnung zu sein, eine kleinere Verrenkung, von der ich mich bald erholt haben würde.
Nachdem ich aus der Duschwanne gestiegen war, wischte ich den beschlagenen Spiegel blank, um mir bestätigen zu lassen, was ich ohnehin wusste.
Ich hatte einen Mann getötet, sah aber nicht anders aus als vorher.
Charlene Rosalind Carter Grant traf auf Charlene Rosalind Carter Grant.
Geliebte Nichte, loyale Freundin, respektierte Telefonistin der Notrufzentrale und eiskalte Mörderin.
Ich fing wieder zu zittern an, ging unter die Dusche zurück und drehte den Heißwasserhahn so weit auf, wie ich es gerade noch ertragen konnte. Kalt blieb mir trotzdem.
23:14 Uhr. Tulip und ich winkten uns ein Taxi herbei.
Vorletzte Schicht.
Noch achtundsechzig Stunden und fünfundvierzig Minuten.
Ich hielt die Hündin, die gar nicht meine war, umschlungen und ließ nicht von ihr ab.
«Das Baby weint.»
«W-w-was?»
«Das Baby weint. Hinten im Flur. Es weint und weint und weint. Es lässt sich nicht beruhigen. Ich weiß mir nicht zu helfen …» Bebendes Seufzen. «Bitte, Ma’am, sagen Sie mir, was ich machen kann.»
Allein im schummrigen Licht der vielen Monitore und eines auf stumm geschalteten Fernsehers rieb ich mir die Augen und versuchte, mich zu konzentrieren. Weinendes Baby. Überforderte junge Mutter. Solche Anrufe gehörten zu den Top Ten der Leitstelle. Das Protokoll verlangte, dass mit gezielten Fragen Auskunft darüber eingeholt werden musste, ob die Gesundheit des Kindes gefährdet oder ein Elternteil in einem seelisch kritischen Zustand war. Wenn nicht, blieb nur, den Anrufer darauf hinzuweisen, dass 911 keine Tipps für junge Eltern bereithalte und ausschließlich für Notfälle in Anspruch genommen werden dürfe.
Ich behielt die Anruferin trotzdem in der
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