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Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Leitung. Meine Schicht war bislang ruhig verlaufen. Die Polizei hatte es, wie ich über Funk mitverfolgen konnte, mit einer schwereren Straftat zu tun, und es gingen keine weiteren Notrufe ein. Wie bei allen meinen Kollegen, die gegen zwei Uhr nachts in der abgedunkelten Zentrale saßen, kam es den meisten Hilfesuchenden hauptsächlich darauf an, mit jemandem zu reden.
    Dazu gab ich der Anruferin jetzt Gelegenheit. Ich erfuhr den Namen ihrer neunmonatigen Tochter – Moesha. Ich erfuhr, dass ihr Freund nachts für eine Gebäudereinigungsfirma arbeitete und dass sie, neunzehn Jahre und mit Namen Simone, Tierärztin werden wollte, vorher aber noch ihren Schulabschluss nachholen musste. Es hatte ihr gefallen, schwanger zu werden, und sie hoffte nach wie vor darauf, dass der Vater ihres Kindes sie heiratete. Die Kleine aber weinte immerzu, und deren Vater sei, wie sie sagte, ein Vollidiot. Sie, Simone, habe mit Freundinnen shoppen wollen, aber kein Geld gehabt, und ihr Freund habe gesagt, sie sei viel zu fett für neue Kleider, warum sie nicht warte, bis sie wieder abgespeckt hätte, auch wenn damit wohl kaum mehr zu rechnen wäre.
    Simone redete und weinte.
    Ich hörte ihr zu und streichelte Tulips Kopf.
    Simone beruhigte sich allmählich. Wir beendeten das Gespräch. Der Bildschirm wurde grau.
    Ich saß im Dunkeln und strich über Tulips Ohren.
    «Das Baby weint», flüsterte ich ihr zu.
    Sie blickte zu mir auf.
    «Hinten im Flur.»
    Tulip legte mir ihre Schnauze in den Schoß.
    «Ich hab’s vermasselt, Tulip. Alle Jahre, im Haus meiner Mutter … Ich hätte diesem Baby helfen müssen. Es ist auch der Grund dafür, dass ich an meine Mutter keinen Gedanken mehr verschwende. Ich möchte mich nicht erinnern. Aber was soll’s? Jetzt ist es ohnehin zu spät.»
    Tulip stupste meine Hand mit der Nase an.
    Ich lächelte und streichelte sie wieder. «Komisch, seit einem Jahr bereite ich mich vor, plane strategisch für meinen letzten Akt von Widerstand. Und jetzt werde ich wahrscheinlich genauso sterben wie die anderen auch – mit einer Liste voll von unerledigten Aufgaben.»
    Tulip winselte leise. Ich beugte mich vor und schlang ihr meine Arme um den Hals.
    «Ich schicke dich in den Norden», versprach ich. «Du wirst bei meiner Tante Nancy wohnen und ein Bed-&-Breakfast-Hund werden. Es ist wunderschön in den Bergen. Da kannst du durch die Wälder laufen, Eichhörnchen jagen und in Flüssen baden. Es wird dir gefallen. Mir hat es jedenfalls sehr gefallen.»
    Ich drückte ihren Kopf an meine Brust. «Denk an mich», flüsterte ich.
    Ich wusste genau, wie sie sich fühlte.

    Kurz darauf öffnete sich die Tür. Eine dunkle Gestalt trat in Erscheinung, von hinten beleuchtet. Ich zuckte zusammen, sprang aus meinem Sessel und ging ganz automatisch in Kampfposition, während der Schreibtischsessel krachend zu Boden ging.
    Officer Mackereth machte Licht.
    «Arbeiten Sie immer im Dunkeln?», fragte er mürrisch. Er trug Uniform und hatte sich sein Koppel um die Hüfte geschnallt. Ich hatte zu Schichtbeginn einen Blick auf den Dienstplan geworfen und wusste, dass er im Dienst war. Ich wusste auch, dass er und ein Dutzend anderer Kollegen nach Red Groves gerufen worden waren, um eine Unfallstelle zu sichern. Ein Mann war vor einem Mietshaus von einer einstürzenden Feuerleiter erschlagen worden. Ziemlich übel das Ganze, hieß es über Funk. Die Einsatzkräfte vor Ort hatten mit Schneidbrennern zu Werke gehen müssen, um die Leiche eines gewissen Stan Miller aus dem Schrott zu bergen. Durchbohrt von Metallteilen, war sie zur Rechtsmedizin gebracht worden, in einem Krankentransporter, den sich die Stadt kürzlich für die Beförderung übergroßer Patienten zugelegt hatte.
    Ich ließ meine Arme sinken und krümmte die Finger. Ich wollte zurückweichen, wurde aber von meinem Schreibtisch daran gehindert. Die für nur eine Person ausgelegte Notrufzentrale ließ nur wenig Platz. Sie war etwas über zwei Meter breit und ebenso tief. Im Polizeipräsidium waren sogar die Behindertentoiletten größer.
    Tulip trottete auf Officer Mackereth zu, hockte sich vor ihn hin und hob den Kopf.
    Er beugte sich über sie und kraulte ihr den Nacken. Und plötzlich, einem Impuls nachgebend, über den er sich wahrscheinlich ebenso wunderte wie ich, ging er vor ihr in die Hocke und umarmte sie. Tulip fuhr ihm mit der Zunge durchs Gesicht.
    «Wenigstens eine, die mich gernhat», sagte er.
    Im Licht der Neonröhren waren die tiefen Falten in seinem Gesicht

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