Der Tag an dem ich cool wurde
durcheinanderredeten und sich an den Tisch begaben, nutzte ich die Gelegenheit und flüsterte Karli ins Ohr: »Lucas hat vorhin angerufen!«
»Was?«, rief Karli und sah mich erschrocken an.
Ich wollte gerade loslegen und ihm alles erzählen, als Mama in den Flur schaute.
»Na los, ihr beiden! Wir haben mit euch zu reden!«
»Später«, flüsterte ich Karli zu, und wir ließen uns von Mama ins Esszimmer bugsieren.
Erst lief alles ganz normal.
Mama und Frau Rosenberg unterhielten sich über ihren Arabischkurs, Opa saß pfeifend vor seinem Teller (weshalb Mama ihn immer wieder böse anstarrte), und Karli und ich gingen in die Küche, um Papa mit dem Essen zu helfen. Da gab es allerdings nicht viel zu tun. Er hatte drei Bleche in den Ofen geschoben und auf jedes eine Tiefkühlpizza gelegt. Die war an den Rändern nun ein bisschen dunkel, aber sie sah noch essbar aus. Karli und ich schnitten die fertigen Pizzen in Achtel und brachten alles an den Esstisch, während Papa drei weitere Pizzen in den Ofen schob.
»Oh, da war ja Bocuse höchstselbst am Werk«, sagte Mama, als Papa zurückkam. Sie kann Fertigpizza nicht leiden.
Papa überhörte Mamas Spott, und das war der Moment, in dem mir endgültig klar wurde, dass das hier ganz definitiv kein harmloses Abendessen für Karli und mich werden würde. Es dauerte dann auch nicht lange, bis der Stein ins Rollen kam.
»Sag mal, Susanne, was macht ihr eigentlich in den Ferien?«, fragte Frau Rosenberg in die mampfende Stille hinein. »Eigentlich«, sagte Mama, »wollten wir nach Spanien fahren, aber uns ist etwas... (sie schickte mit ihren Augen einen Pfeil auf Papas Arm) dazwischengekommen. Ich bleibe hier und mache vielleicht einen Yogakurs. Und du und Karli?«
Sie sah Frau Rosenberg unschuldig an.
»Och«, sagte Karlis Mutter. »Karli sollte eigentlich mit seinem Vater nach Südfrankreich, aber der hat mal wieder eine Neue und zieht Urlaub ohne Kinder vor. Ich werde mich jeden Tag in die Hängematte legen und in die Wolken gucken.« Mama und Frau Rosenberg sahen Papa an und wie auf ein Stichwort redete der jetzt los.
»Ich«, sagte Papa, »werde ja aus bekannten Gründen nicht nach Spanien fahren« (Mama verdrehte die Augen und fuchtelte mit den Händen, was wohl so was heißen sollte wie: »Ist doch jetzt egal, mach schon«), und Papa machte schon. »Für Martin und Karli ist es natürlich schade«, sagte er.
Alle sahen Karli und mich an.
Sie lächelten.
»Vielleicht«, fuhr nun Frau Rosenberg fort, »brauchtet ihr, Karli und du, Martin, einmal einen schönen Urlaub!«
Je freundlicher sie lächelten, desto komischer wurde mein Gefühl. Tagelang hatten alle auf uns eingehackt, wir waren »missratene Bengel« gewesen, das Wort »kriminell« war gefallen — und auf einmal wollten sie uns in Urlaub schicken? Wahrscheinlich sollten wir mit einer Jugendgruppe fahren, alleine würden sie uns ja kaum ziehen lassen. Früher hätte man mich mit so was jagen können, aber jetzt, mit Karli zusammen... Das wäre sensationell! Wir würden die Ersten in unserer Klasse sein, die ohne Eltern in Urlaub fahren durften! Mir wurde ganz warm vor Aufregung.
»Wo fahren wir denn hin?«, fragte ich.
Gespannt sahen wir unsere Eltern an.
Jetzt kam Opas Auftritt. Er räusperte sich und stand auf.
»In diesem Haushalt verhungert man! (Er deutete mit dem Stock auf die kümmerlichen Pizzareste.) So läuft das jeden Tag! Außerdem hocken die Jungs den ganzen Tag in Martins Zimmer, du (er fuchtelte mit dem Stock vor Papas Nase herum) liegst im Liegestuhl und liest Zeitung, und ich vertrockne vor Langeweile im Sessel, bis von mir auch nur noch Krümel übrig sind! Maria ist nicht da und jetzt muss ich auch noch mit Kriminellen an einem Tisch sitzen!« (Er pikste Karli und mich mit seinem Stock.)
»Was wir brauchen«, rief er und machte eine kleine Pause, »was wir brauchen ist... Männerurlaub!«
Opa sah triumphierend in die Runde.
Papa nickte, Mama und Karlis Mutter grinsten (und sahen nicht im Mindesten überrascht aus), und ich war so ratlos, wie Karli aussah.
Männerurlaub? »Wir«?
Wer war »wir« ?
Nach und nach erfuhren wir, was unsere Familien für uns geplant hatten.
Opa hatte von einem Bekannten ein Grundstück gemietet, das an einem großen See in Frankreich lag. Es war so eine Art Zelt-Wohnwagen-Blockhütten-See. Papa hatte einen Wohnwagen organisiert, und der Plan war, dass Karli und ich mit Opa und Papa und dem Wohnwagen nach Frankreich aufbrechen und dort die
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