Der Tag an dem ich erwachte
kleinen Firma wurde ein großer Konzern, und aus meinem Onkel ein Multimillionär. Nachdem er die „Aasgeier“, wie er den Rest unserer Familie bezeichnet, allesamt glücklich gemacht hatte, kaufte er sich ein Haus in der Karibik. Seitdem verbringt er seine Zeit damit, dauerhaft Urlaub zu machen, meistens ist er besoffen oder bekifft, dennoch immer glücklich. Er versucht schon seit Jahren, mich dazu zu überreden, zu ihm zu ziehen, damit ich ihm bei seinen „Geschäften“ helfe. Als ihm besonders langweilig war, hatte er kurzerhand eine Fußballmannschaft gekauft und wurde der Manager von mehreren Musikern, für die sich außer ihm kein Schwein interessierte. Und, was soll ich sagen? Mittlerweile sind sie alle so erfolgreich, dass mein Onkel nicht weiß, was er mit dem ganzen Geld, das er an ihnen verdient, anfangen soll. Er investiert in mehrere Sozialprojekte und Hilfsorganisationen, einige davon hatte er sogar selbst gegründet. Hin und wieder begibt er sich inkognito in die ärmsten Gegenden dieser Welt und spielt Gott, das ist sein neuestes Hobby. Nicht das Schlechteste, wenn du mich fragst. Was ich dir damit sagen will, Gail… Wieso packst du nicht deine Sachen, solange dein Göttergatte weg ist und kommst mit mir in die Karibik? Mein Onkel wird entzückt sein! Stell dir vor, du und ich allein am karibischen Strand. Und mein Onkel mit seiner aktuellen Eroberung im Hintergrund. Alle rundum glücklich. Wir leben einfach in den Tag hinein und denken nicht an morgen. Denn dank dem Geld meines Onkels sind wir gegen alle Eventualitäten gewappnet. Was sagst du dazu, Gail, bist du dabei?“
Die Vorstellung war so schön, dass mir der Atem dabei wegblieb. Doch gleichzeitig meldete sich eine hinterhältige, widerlich laute Stimme in meinem Kopf, die mich belehrte, dass alles, was so perfekt erschien, nur ein Fake sein konnte. So wie ich. So wie Greg. Verdammt, es war Gregs Stimme in meinem Kopf! Selbst, wenn er nicht bei mir war, schaffte er es, mir jede Freude zu verbieten, die nichts mit ihm zu tun hatte. Doch ich war mittlerweile der zweifelhaften Freude, das Lustobjekt eines vor sich hin alternden Mannes zu sein, überdrüssig. Wie das berühmte Frankensteinmonster war ich nun dabei, mich gegen meinen Schöpfer zu wenden. „Es ist nicht so einfach“, wiederholte ich und erklärte: „Greg würde mich finden. Auch in der Karibik. Und dann würde er mir schreckliche Dinge antun.“
„Wie soll er uns denn finden?“, schnaubte Robert verächtlich, „der ist doch senil! Und, selbst wenn, was kann er dir schon antun? Er kann dir gar nichts tun, Gail, ich werde dich vor ihm beschützen! Ich und eine ganze Reihe Bodyguards“, fügte er lächelnd hinzu, „er hat nicht die geringste Chance!“
„Doch, die hat er“, erwiderte ich finster. „Du unterschätzt ihn, Robert. Du kennst ihn nicht. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie raffiniert er ist. Geschweige denn, wozu er fähig ist.“ Noch bevor ich den Satz zu Ende sprach, wurde mir schmerzlich klar, wie Recht ich damit hatte. Verdammt, was fiel mir ein, einen unschuldigen Menschen in mein ganz persönliches Drama hineinzuziehen? Was hatte ich mir nur dabei gedacht? „Robert, es tut mir leid“, sagte ich langsam und bedächtig. „Ich kann nicht mit dir kommen. Auch, wenn ich es wirklich, wirklich gern tun würde. Ich hätte dich nicht anrufen dürfen. Verlass bitte dieses Haus. Geh. Renn um dein Leben!“ Doch er nahm meine Warnung alles andere als ernst. Er streckte sich gemütlich und lachte.
„Du hast einen ausgeprägten Hang zur Dramatik, Gail“, sagte er schließlich. „Das gefällt mir. Du bist eine aufregende Frau. Auf eine wie dich habe ich mein Leben lang gewartet!“
„Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher, Robert“, sagte ich leise. Und setzte alles auf eine Karte: „Hattest du jemals homosexuelle Neigungen?“
„Natürlich nicht!“, fauchte er mich empört an, „was soll die bescheuerte Frage?“
„Natürlich nicht“, wiederholte ich tonlos. „Dann lass mich doch bitte erklären, was die bescheuerte Frage soll. Aber zuerst brauchst du einen Drink. Einen sehr starken. Warte, ich komme gleich wieder!“
„Gail, wo willst du hin?“, rief er mir hinterher, „bleib hier, ich will keinen Drink!“
„Doch, den willst du“, trotzte ich ihm. „Und, wenn du ihn noch nicht willst, wird es sich bald ändern.“ Ich kehrte zurück, bewaffnet mit zwei leeren Gläsern und einer vollen Flasche Bacardi. Als ich mich aufs
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