Der Tag an dem ich erwachte
Bett setzen wollte, fiel mir ein, dass ich die Eiswürfel vergessen hatte, also entschuldigte ich mich und rannte wieder hinaus. Als ich wieder ins Schlafzimmer kam, hatte sich Robert bereits aus der Flasche bedient und nippte gedankenverloren an seinem Glas. Ich stellte eine Flasche Cola und ein Gefäß voller Eiswürfel auf den Nachttisch, bevor ich unsere Drinks damit verfeinerte.
„Gail, was soll die Scheiße?“, fragte Robert ungeduldig. Die Ungeduld der Jugend, dachte ich gelassen, und dieser Gedanke, gepaart mit meiner perfiden Gelassenheit, erschien mir angesichts der aktuellen Situation äußerst unangebracht. Das war er auch: Unangebracht. Genau wie das, was ich Robert angetan hatte. Geschweige denn, was Greg mir angetan hat te. Plötzlich wusste ich alles wieder. Deswegen hatte er eine so große Angst, mich für drei Tage allein zu lassen, dämmerte es mir. Denn ohne seine Hypnosesitzungen, denen er mich während der ganzen letzten Jahre täglich unterzogen hatte, erinnerte ich mich an meine Vergangenheit, die er aus meinem Gedächtnis vollkommen auslöschen wollte. Was ihm auch gelungen war.
„Jetzt weiß ich endlich, wieso ich kein Kind kriegen kann!“, dachte ich, bevor mir bewusst wurde, dass ich es laut aussprach. Robert sah mich verdutzt an. Und dann traute ich mich endlich, ihn mit der Wahrheit zu konfrontieren. „Robert, ich habe dich gewarnt!“, sagte ich leise. „Ich habe dich aufgefordert, zu gehen und mich meinem Elend zu überlassen. Doch du bist immer noch hier. Trink lieber einen Schluck, denn ich werde dir jetzt eine Geschichte erzählen, die nicht für schwache Nerven geeignet ist.“ Er tat wie ihm geheißen und leerte gleich das ganze Glas. Ich goss nach. Es war ein Fehler. Denn, nachdem ich mit meinem Bericht endlich fertig war, hatte sich der Arme umso heftiger übergeben müssen. Als er aus dem Bad zurückkam, war er leichenblass.
„Sag mir bitte, dass du mich verarscht hast, Gail“, bat er leise. Ich blieb ihm die Antwort schuldig. „Ach komm, Gail, das kann ich einfach nicht glauben! Du kannst unmöglich ein Mann gewesen sein, ich hätte den Unterschied spätestens dann gemerkt, als…“ Er würgte wieder, hatte sich jedoch schnell unter Kontrolle.
„Ja, er ist sehr stolz auf das Ergebnis“, erwiderte ich und zuckte hilflos die Achseln.
„Gail, ich frage dich ein letztes Mal! Ist das Ganze ein blöder Scherz? Das ist wirklich krank!“
„Nein und ja“, antwortete ich knapp und erläuterte: „Nein, es ist kein Scherz, und ja, es ist krank. Wirst du jetzt gehen?“
„Was denkst du denn?“ Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, warf ich mich aufs Bett und weinte, bis mir die Augen wehtaten. Danach leerte ich den Rest aus der Bacardi Flasche und folgte Roberts Beispiel, indem ich mich im Bad übergab. Wie die Mutter, so die Tochter, dachte ich und korrigierte mich: Der Sohn. Letztendlich hatte sich dein Wunsch doch erfüllt, alte Hexe! Du hast eine wunderschöne Tochter. Wahrscheinlich drehst du gerade Freudenpirouetten mit dem Teufel. Ich fiel in einen unruhigen Schlaf und träumte von David. Von mir . Ich hatte immer noch sein Gesicht, Greg hatte nicht viel daran verändert. Obwohl er mir zweimal die Nase brechen musste, bis er mit dem Ergebnis endlich zufrieden war. Beim zweiten Mal vergaß er im Eifer des Gefechts, mich unter Narkose zu setzen. Bestimmt hatte er nicht damit gerechnet, dass ich mich so schnell wieder erinnern würde. Als ich aufwachte, drohte mein Schädel zu explodieren. Ich hatte Sodbrennen und einen starken Durst, aber das war ja nichts Neues. Ich spülte zwei Kopfschmerztabletten mit einer Flasche Wasser herunter, putzte mir die Zähne und stellte mich unter die Dusche. Der Rest des gestrigen Nachmittags klebte immer noch zwischen meinen Schenkeln, und meine Haare rochen noch leicht nach Roberts Aftershave. Verdammt, wie sollte ich je wieder den Geruch des alten Mannes ertragen? Seine faltige Haut, seinen schlappen Schwanz… Ich ließ das Wasser eiskalt werden und genoss diese Kälte, während ich mir überlegte, wie ich Greg am einfachsten umbringen konnte. Ich spielte mit dem Gedanken, den Spieß umzudrehen. Ein starkes Schlafmittel in sein Essen zu mischen, ihn zu fesseln und zu knebeln und ihn in den Keller zu schleifen, in dem er mich Monate lang gefangen hielt. Dieser Teufel! Ihn dort verhungern und verdursten zu lassen, langsam und qualvoll. Plötzlich wurde die Kälte unerträglich, und ich machte das Wasser wieder warm.
Weitere Kostenlose Bücher