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Der Tag an dem ich erwachte

Der Tag an dem ich erwachte

Titel: Der Tag an dem ich erwachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emilia Miller
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noch, was du anhattest?“
    „Nur ein Nachthemd. Ein kurzes, weißes Nachthemd. „Weiß ist die Unschuld“, sagte Greg. Er nannte mich seine Galatea.“ Ryan entfuhr ein leises Fluchen, bevor er sich wieder im Griff hatte. „Natürlich, Ryan, jetzt weiß ich es. Gail ist seine Abkürzung für Galatea. Er hat diesen Namen für mich ausgesucht. Dem zufolge heiße ich nicht wirklich Gail. Alles, was ich bin, hat er festgelegt“, wurde mir klar. Meine Beine wurden eigenartig schwach, und Ryan musste mich stützen, damit ich nicht zu Boden sank.
    „Wo ist das Wohnzimmer?“, fragte er leise. Ich zeigte stumm mit dem Finger auf eine Tür, die offen stand. Ryan führte mich hinein, wir sanken beide auf die Couch, bevor er den Raum mit seiner Taschenlampe beleuchtete. „Oh mein Gott!“, flüsterte er.
    „Ja, nicht wahr? Anscheinend hast du seinen Geschmack geerbt.“ Auch mir fiel die Ähnlichkeit auf. „Auch seinen Frauengeschmack“, lachte ich freudlos. „Was die Gene so alles anrichten… Es ist schon irgendwie gruselig, findest du nicht?“ Er blieb mir die Antwort schuldig, stattdessen suchte er Gregs Haus nach Alkohol ab.

„Wie geht es deinem Magen, Gail?“, erkundigte er sich, als er mit einer Flasche Whiskey und zwei Gläsern zurückkam.
    „Gieß ruhig ein!“, antwortete ich, „meine Übelkeit hat nichts mehr mit der Lebensmittelvergiftung zu tun. Er hat meine Seele vergiftet. Er hat aus mir das gemacht, was er haben wollte. Ich bin so eine Art Frankensteinmonster, Ryan! Und weißt du, was das Schlimmste daran ist?“ Er schüttelte mit dem Kopf, während er sein Glas in einem Schluck leerte. „Er hat es tatsächlich geschafft, mich dazu zu bringen, ihn zu lieben. So sehr, dass ich meine alte Persönlichkeit vollkommen abgelegt hatte, so sehr, dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich je eine besaß, bevor er mich zu seiner verdammten Galatea machte!“
    „Wir werden deine alte Persönlichkeit finden“, versprach mir Ryan. „Mach dir nicht zu viele Gedanken. Konzentriere dich lieber auf deine Erinnerungen. Wir gehen einen Schritt nach dem anderen, es ist wichtig, dass du jetzt Ruhe bewahrst. Zeig mir das Haus!“, forderte er mich auf. Obwohl das Haus so abgelegen war, dass es keine neugierigen Nachbarn gab, war es dennoch viel zu riskant, das Licht einzuschalten. Die leeren Räume wirkten in dem spärlichen Licht der Taschenlampe beinahe gespenstisch, und die Geister der Vergangenheit wachten langsam wieder zum Leben auf.
    „Das ist das Schlafzimmer“, sagte ich und kam mir vor wie eine Reiseführerin in einem Geisterschloss. „Und das ist das Bett, in dem Greg mich in die Kunst der Liebe einweihte.“ Ryan zuckte kaum merklich zusammen, bevor ich fortfuhr: „Hier hat er mich all das gelehrt, was einen Mann glücklich macht. Er war ein geduldiger und zärtlicher Liebhaber.“ Obwohl ich wusste, wie sehr es Ryan quälte, sprach ich weiter, ich konnte gar nicht mehr damit aufhören, wie ein defekter Wasserhahn, der sich nicht mehr zudrehen ließ. „Ich war eine Jungfrau, deswegen wollte er auch, dass ich ein weißes Nachthemd anzog, bevor er mich deflorierte. Er ging dabei sehr behutsam vor, trotzdem tat es weh. „Da musst du jetzt durch, Gail“, sagte er, „bald wird es dir Spaß machen.“ Und er behielt Recht. Bald wurde ich sogar regelrecht süchtig danach, so sehr, dass er sich hin und wieder beklagte, ich würde ihn mit meiner Unersättlichkeit völlig auslaugen. Hin und wieder schluckte er sogar Pillen, um meiner Lust gerecht zu werden.“
    „Dieser widerliche, alte Bock!“, murmelte Ryan.
    „Ja, das war er wohl. Doch für mich war er schlicht und weg Gott, so wie er es wollte. So, wie er mich programmiert hatte. Er herrschte uneingeschränkt über mich und mein kleines Universum, das er einzig und allein für mich erschuf. Am Anfang nannte ich ihn „Gebieter“, aber dann gefiel es ihm nicht mehr: „Ich bin nicht dein Gebieter, Gail“, belehrte er mich, „sondern dein Ehemann. Dein ebenbürtiger Partner.“ Also, gewöhnte ich mir diese Anrede ab. Komm, Ryan, ich zeige dir jetzt die Küche, den Raum, in dem ich die meiste Zeit verbrachte. Ich bin eine passionierte Köchin, wie du weißt. Hier, genau in dieser Ecke, stellte er immer die Kisten mit den Einkäufen ab, bevor ich sie einräumte, es war immer mein Highlight des Tages. Ryan?“
    „Ja, Liebling? Was ist dir eingefallen?“
    „Ich glaube, ich weiß, wieso mich niemand hier kennt.“
    „Wieso, Gail?“, fragte er

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