Der Tag an dem ich erwachte
mit einem unschuldigen Lächeln.
„Hä? Wieso nennst du deinen Vater Liebling?“, fragte der Fremde überrascht, und, als es ihm endlich dämmerte, brach er in schallendes Gelächter aus. „Oh, sie ist gar nicht Ihre Tochter? Hut ab, Professor, wirklich, Hut ab!“
„Für einen Mann mit Ihrem IQ kapieren Sie verdammt schnell, Mister Harrington“, kommentierte Greg sarkastisch sein zweifelhaftes Kompliment.
„Wobei wir schon beim Thema wären, Professor“, lächelte der Fremde breit. „Komischerweise haben Ihre Kollegen nicht das Geringste an meinem IQ auszusetzen, ich schloss meine Abschlussprüfung mit den besten Noten ab. Ich rechnete bereits sogar mit einer Auszeichnung, als Sie ins Spiel kamen. Wieso haben Sie es mir angetan?“
„Hm, lassen Sie mich mal überlegen“, sagte Greg langsam und rieb sich in gespielter Anstrengung die Stirn. „Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein! Sie hatten bereits so sicher mit einer Auszeichnung gerechnet, dass Sie sich einen unverzeihlichen Fehler erlaubten, sich vorzeitig zu entspannen. Also, haben Sie sich an dem Abend vor Ihrer wichtigsten Prüfung hemmungslos betrunken. Korrigieren Sie mich, wenn ich etwas Falsches sage“, forderte er ihn mit einem teuflischen Lächeln auf. Doch der Fremde zuckte nur die Schultern.
„Ich habe ein paar Drinks zu mir genommen, mehr nicht… Trotzdem habe ich alle Fragen richtig beantwortet. Ich weiß es ganz genau, weil ich die Antworten mit meinen Studienkameraden abgeglichen habe, die die Prüfung mit Bravour bestanden haben.“
„Ihre Studienkameraden, die die Prüfung bestanden haben, haben auch nicht nach abgestandenem Alkohol und Kotze gestunken! Sie hingegen hatten eine dermaßen widerliche Alkoholfahne, dass sie mich beinahe umgehauen hat. Jemand, der seine Zukunft dermaßen auf die leichte Schulter nimmt, jemand, der so ein respektloses Verhalten an den Tag legt wie Sie, verdient es nicht anders. Mein Entschluss steht fest, und selbst, wenn es nicht der Fall wäre, könnte ich nichts mehr daran ändern. Denn, falls es Ihnen entgangen sein sollte, bin ich nicht mehr an der Universität tätig, ich bin nun im Ruhestand.“
„Natürlich können Sie es ändern“, schnaubte der Fremde wütend, „Sie wollen es bloß nicht! Auch, wenn Sie im Ruhestand sind, hat Ihr Wort nach wie vor ein enormes Gewicht. Wieso zerstören Sie meine Zukunft? Was habe ich Ihnen getan?“
„Sie sind gerade dabei, emotional zu werden, mein Freund“, lächelte Greg gehässig. “Im Gegensatz zu Ihnen denke ich stets rational , das ist der gewaltige Unterschied zwischen uns beiden. Und genau das ist der Grund, wieso Sie Ihre Zukunft eigenhändig ins Klo runtergespült haben, mein Bester. Jawohl, Sie allein tragen die Schuld an Ihrem Scheitern, und, wie alle Loser, neigen Sie dazu, Ihre Schuld jemand anderem in die Schuhe zu schieben. Doch bei mir beißen Sie damit auf Granit: Ich hatte noch nie viel für Loser übrig. Also, hätten Sie sich diesen Besuch sparen können, obwohl wir uns sehr über ihn gefreut haben, nicht wahr, Schatz?“ Er legte besitzergreifend seine Hand auf meinen Oberschenkel, und ich wäre am liebsten in den Boden versunken, als ich den verdutzten Blick des Fremden registrierte. „Nutzen Sie Ihre Zeit lieber sinnvoll“, riet Greg, „indem Sie sich einen Job suchen, der Ihren Begabungen und Ihrer Arbeitsmoral entspricht. Ich habe gehört, dass die neue Mac Donalds Filiale dringend einen Geschäftsführer sucht. Wenn Sie sich richtig anstrengen, dann werden Sie die Stelle womöglich bekommen.“ Er nahm seine Teetasse in die Hand und trank einen kleinen Schluck daraus. „Schmeckt gut, Liebling!“, sagte er mit einem zärtlichen Blick in meine Richtung, wobei ich spürte, wie mein Gesicht vor Scham tief rot anlief. Danach wandte er sich wieder an den Fremden. „Ich will ja nicht gemein sein“, lächelte er entspannt, „falls Sie Referenzen brauchen, dürfen Sie sich jederzeit an mich wenden. Gail, würdest du bitte unseren Gast hinausbegleiten und die Tür hinter ihm schließen? Ich warte im Schlafzimmer auf dich!“, fügte er süffisant hinzu. Ich tat wie mir geheißen und lief hinter dem Fremden her, der energisch auf die Tür zusteuerte, wie ein braves Hündchen, das auf jedes Wort seines Besitzers hörte, ohne es zu hinterfragen. Ich wusste nicht, wann ich mich zum letzten Mal so schäbig gefühlt hatte. Doch, bevor der Fremde die Tür hinter sich schloss, flüsterte er mir zu: „Ich weiß nicht, was hier
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