Der Tag, an dem John Dillinger starb
spurlos verschwunden. Ich hab die Kuh selbst melken müssen.«
Rose drehte sich nach ihm um. »Was soll das heißen, An dré?«
»Die Indianer sind fort. Nur die Mestizen sind noch da – aber sie scheinen vor irgendwas Angst zu haben.«
»Wovor sollten sie Angst haben?« erkundigte Dillinger sich.
Rose runzelte die Stirn. »Mir ist schon aufgefallen, daß Con
chita mir heute morgen keine Eier gebracht hat.«
Sie nahm die Pfanne vom Herd, stellte sie auf einen Unterset zer und ging durch die Bar nach draußen. Dillinger und Cha vasse folgten ihr. In der Morgensonne lag die kleine Stadt merkwürdig still und ausgestorben da. Der alte Gomez, ein von Rivera fürs Telegrafenbüro nach Hermosa geholter invalider Eisenbahner, kam aus seiner Dienststelle und sperrte die Tür ab. Er hinkte die Straße entlang und blieb stehen, um den Hut vor Rose zu ziehen.
»Wohin sind heute alle verschwunden, Rafael?« erkundigte sie sich.
»Das weiß nur der liebe Gott, Señorita. Ich hab andere Sor gen. Die Telegrafenleitung ist schon wieder unterbrochen. «
»Ganz bestimmt?«
Gomez nickte. »Jeden Morgen um sechs Uhr geht aus Chi
huahua ein kurzes Telegramm ein, mit dem die Leitung geprüft wird. Danach antworte ich. Aber heute morgen ist diese Anfra ge ausgeblieben.«
»Was passiert jetzt?« fragte Dillinger ihn. Der Alte mußte wissen, daß nach dem Fahrer eines weißen ChevroletKabrioletts gefahndet wurde.
Rafael Gomez zuckte mit den Schultern. »Ich habe drei Tage Zeit, die defekte Stelle zu suchen und selbst instand zu setzen. Wenn ich bis dahin nichts von mir hören lasse, wird ein Repa raturtrupp von Nacozari aus in Marsch gesetzt. So funktioniert die Sache zumindest theoretisch. Beim letzten Defekt hat’s zehn Tage gedauert, bis jemand was unternommen hat.«
Als er die Straße entlang weiterhinkte, kamen etwa dreißig bis vierzig Mestizen aus der Kirche über den Platz aufs Hotel zu, wo sie einen Halbkreis vor der Veranda bildeten.
Ihr Sprecher war ein großer, dicker Mann mit grauem Bart. Er nahm seinen strohgeflochtenen Sombrero ab, bevor er Rose ansprach. »Señorita, heute nacht haben die Indianer sich mit unseren Mulis fortgeschlichen. Was hat das zu bedeuten?«
»Das wissen wir auch nicht, Jorge«, antwortete sie. »Viel
leicht hängt es mit dem Unfall im Bergwerk zusammen. Viel leicht fürchten sie, Don José könnte sie dazu zwingen, an Stelle der Verunglückten in der Goldmine zu arbeiten.«
Jorge schüttelte den Kopf. »Hinter dieser Sache steckt mehr, Señorita. Wir haben Angst.«
»Aber wovor denn, Jorge?«
Wie als Antwort erklang ein markerschütternder Kriegsschrei aus zahlreichen Kehlen. Eine Kugel fetzte Holzsplitter aus dem Türrahmen hinter ihnen, und die nächste ließ eine Fenster scheibe zersplittern. Als Dillinger sich herumwarf, sah er berittene Indianer von den Hügeln in die Stadt strömen. Sie heulten wie ein Wolfsrudel, während sie die ersten Häuser erreichten.
Die Mestizen stoben entsetzt auseinander, um sich in ihre Häuser zu retten. Dillinger schob Rose vor sich her ins Hotel. Chavasse folgte ihnen.
Während Dillinger die Eingangstür zuknallte und verbarrika dierte, lief Chavasse in die Küche, um auch den Hintereingang zu sichern. Mehrere Indianer galoppierten die Straße entlang und schössen wild um sich, als Chavasse in die Bar zurückkam.
»Lauter Verrückte!« rief Rose aus. »So was ist zum letzten
mal vor fünfzig Jahren passiert!«
Dillingers Gesicht glühte vor Erregung, als er die Reiter beo
bachtete. »Apachen in voller Kriegsbemalung! Ich hätte nie gedacht, daß ich so was in meinem Leben zu sehen kriegen würde.«
Eine weitere Kugel ließ ein Fenster zersplittern und bohrte sich in die gegenüberliegende Wand. Dillinger zog seinen Colt. Er hastete geduckt zu Rose hinüber, die unter dem Fenster hockte. Sie war kreidebleich und blutete aus einer kleinen Schnittwunde unter dem linken Auge, wo sie ein Glassplitter getroffen hatte. »Hast du denn gar keine Waffen im Haus?« fragte er.
Sie wirkte leicht benommen und wischte sich mechanisch das Blut ab. »In der obersten Schublade der Kommode in meinem Schlafzimmer liegt ein alter Revolver.«
Er drückte ihr seine Pistole in die Hand. »Kannst du damit umgehen?«
»Natürlich!« antwortete sie unerwartet energisch.
»Gut, dann hältst du hier die Stellung. Ich bin gleich wieder da.«
John Dillinger rannte die Treppe in den
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