Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
erneut am Schrank hängen blieb.
Jetzt hab ich dich!, dachte sie, hob die Kleiderstange aus ihrer Halterung und kippte sie seitwärts. Zuerst geschah nichts, aber dann ertastete sie mit den Fingern ein Stück Noppenfolie im Inneren und zog sie vorsichtig heraus. Kaum war dieser Pfropfen gelöst, rutschten auch schon mehrere Kunststoffstreifen mit eingeschweißten Tabletten aus dem Rohr und landeten als wirres Mikado auf dem Teppich. Claudia raffte sie zusammen und warf einen Blick darauf. Die Namen und Wirkstoffangaben auf den Rückseiten sagten ihr nichts. Leider hatte sie auch keine Zeit mehr, die Angaben zu notieren, den in diesem Moment ging nebenan die Spülung.
Nachts konnte sie nicht schlafen. Sie überlegte die ganze Zeit, was das für Medikamente waren und warum René sie vor ihr versteckt hielt. Im Wesentlichen boten zwei Theorien an: Entweder war er schwer krank und verschwieg ihr das, um sie nicht zu beunruhigen. Oder seine Frau war schwer krank und hatte die Präparate im gemeinsamen Koffer vergessen, sodass er sie jetzt vor Claudia verbarg, um sie nicht unnötig auf die Palme zu bringen.
Beide Möglichkeiten waren gleich schlecht, denn sie änderten nichts an der Tatsache, dass es René nicht gut ging und dass er seine Frau niemals verlassen würde. Wahrscheinlich gehörte er auch zu den Männern, die gern verheiratet waren und ihre Ehe niemals aufs Spiel setzen würden, weil sie deren Sicherheit und Stabilität mochten.
In der Nacht von Freitag auf Samstag schnarrte plötzlich das Telefon in Claudias Umhängetasche los. Sie rappelte sich schlaftrunken hoch, nahm es zur Hand und stellte die Verbindung her.
Es war Leo, und er gehörte zu den Leuten, auf die sie im Moment sehr gut verzichten konnte. Deshalb sagte sie ihm klipp und klar, dass er sich in der Zeit vertan habe und dass sie weiterschlafen wolle. Aber das kümmerte ihn nicht. Stattdessen quakte er ihr minutenlang die Ohren voll, dass mit seinem alten MP3-Player etwas nicht in Ordnung sei. Sie stöhnte auf, ließ sich das Problem erklären und gab ihm dann die nötigen Instruktionen zu seiner Beseitigung. Anschließend beendete sie das Gespräch.
„Der hat vielleicht Nerven“, sagte sie, warf das Telefon in die Tasche zurück und ließ sich in ihre Kissen zurückfallen.
„Und was macht der Bär sonst so, wenn er nicht um drei Uhr früh am Telefon hängt und Leute aufweckt?“, fragte René.
„Er frisst. Mittlerweile ist ein Moppel mit 115 Kilo Lebendgewicht geworden, und das sind definitiv keine Muskeln. Ehrlich gesagt geht er mir auf den Geist, und technisch gesehen ist er ’ne Niete.“
„Ich dachte immer, dass du an ihm hängst.“
„Ja, wie eine Mutter an ihrem verzogenen und egoistischen Kind hängt“, sagte sie, drehte ihm den Rücken zu und versuchte wieder zu schlafen.
Kaum war ihr das gelungen, rief die andere Frau in Renés Leben an und teilte ihm mit, dass die Heizung ausgefallen sei, sodass sie kein heißes Wasser mehr hatten. Nun wollte sie wissen, welche Wiederbelebungsmaßnahmen er vorschlug oder welchem Installateur sie Bescheid sagen sollte. Da René den Lautsprecher seines Telefons eingeschaltet hatte, bekam Claudia alles live mit. Im Hintergrund lärmten die beiden Jungs herum. Offensichtlich stritten sie sich um eine Comicfigur aus Plastik, die einer Cornflakespackung beigelegen hatte.
Es gab sie also tatsächlich, die ominöse Tanja und die Buben Franzl und Moritz. Manchmal hatte Claudia die drei schon für Geister gehalten. Sie wusste wenig über Renés Beziehung zur Mutter seiner Kinder, denn darüber schwieg er sich hartnäckig aus. Und leider bekam sie auch jetzt kein klares Bild davon, denn er verhielt sich während des Gesprächs recht neutral.
Ach, es war alles so vertrackt. Ihr Liebster war vermutlich schwer krank, seine Frau und seine Kinder ließen ihm einfach keine Ruhe, und Leo … mein Gott, Leo … der war in jeder, aber auch wirklich in jeder Beziehung von ihr abhängig. Das Ganze lief nicht so, wie sie sich das vorgestellt hatte, und ihre Hoffnung, dass sich das jemals ändern würde, schwand mehr und mehr.
Am Samstag gaben René und sie sich einen Ruck und nahmen an der obligatorischen Sightseeingtour der Haverpore -Mitarbeiter teil, wobei sich ihre Wege irgendwann trennten. Die erste Gruppe wollte den Freedom Trail ablaufen, einen etwa fünf Kilometer langen Weg entlang historisch bedeutsamer Sehenswürdigkeiten. Die zweite Gruppe wollte ein Museum besuchen, das die größte Kollektion
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