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Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Titel: Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Steen
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als ob mir jemand einen Arm oder ein Bein abgetrennt hätte.“
    „Und mir haben sie das Herz amputiert und das Gehirn und sogar mein gottverdammtes bestes Stück.“
    Claudia lachte, legte den Kopf zurück und sah ihn an. Ein Dreivierteljahr lang hatten sie nur miteinander telefoniert oder sich Fotos und Videos zugemailt. Grandiose Fotos und Videos, die sie mit oder ohne Kleidung zeigten und so gut wie keine Tabus kannten. Deshalb waren sie auf das vorbereitet, was sie jetzt sahen: Sie hatten sich verändert. Er war schmaler geworden, und sie hatte die ersten Silberfäden im Haar vorzuweisen.
    „Schneewittchen wird grau“, sagte sie.
    „Dafür seh ich mehr denn je wie ein Karottenbaby aus“, sagte er. „Und bevor ich es vergesse: Du bist zum Verrücktwerden schön.“
    Das Tagungshotel in der Innenstadt Bostons entpuppte sich als Unterkunft mit gehobener Ausstattung. Wenn Claudia an die grausige Kakerlakenhochburg in Florida dachte, lief ihr heute noch ein Schauer den Rücken herunter. Hier wirkte überhaupt alles viel europäischer, und es schien auch nicht so viele Hurrapatrioten wie im Süden oder Westen des Landes zu geben.
    Diesmal hatten René und sie sich ein gemeinsames Hotelzimmer genommen. Die Kollegen wussten eh, dass sie ein Paar waren, und die Firma sparte dadurch Geld.
    Von Dienstag bis Freitag saßen sie tagsüber brav in der Schulung, aber die Abende und Nächte verbrachten sie ausschließlich in ihrem Zimmer und kämpften eine ebenso flammende wie von vornherein verlorene Schlacht gegen ihren Hunger aufeinander.
    Das nahmen die anderen ihnen übel. Selbst Maike, mit der sie sonst prima auskamen, war verärgert, dass sie Berufliches und Privates nicht voneinander trennen konnten oder wollten.
    Am Mittwochabend kehrte sie schließlich die strenge Chefin heraus und nahm die beiden ins Gebet. Sie hatte sich Verstärkung mitgebracht: Claudias Chef Harald, der für die nord- und mitteldeutschen Account Manager verantwortlich war.
    „Eure erotische Euphorie in allen Ehren, aber es kann nicht sein, dass ihr die ganze Zeit eigene Wege geht“, sagte sie.
    „Wieso gehen?“, sagte René. „Wir halten uns ausschließlich in unserem Zimmer auf, und das auch nur während der Freizeit.“
    „Du weißt genau, was ich damit meine“, sagte Maike. „Bei diesem Treffen hier geht es nicht nur um fachliche Geschichten. Die sollten wir sowieso alle draufhaben. Es geht um die allgemeine Moral und darum, den Spirit zu stärken. Ihr müsst euch mit den anderen Teammitgliedern unterhalten, ihr müsst über den Tellerrand hinaussehen und Kontakte knüpfen. Und das könnt ihr nicht, wenn ihr ständig in eurem Zimmer hockt.“
    „In der Tat, Leute, die Situation ist stark verbesserungswürdig“, sagte Harald und bemühte sich um einen geschäftsmäßigen Tonfall. „Das Wichtigste an unseren Meetings sind die Abendveranstaltungen an der Bar. Wir sind ein Team, und wir sind als Team hier. Das heißt, dass einer für den anderen da ist, und so wollen wir uns auch verhalten.“
    „Denkt mal darüber nach“, sagte Maike.
    Claudia und René zogen sich in ihr Hotelzimmer zurück, dachten darüber nach und kamen zu dem Schluss, dass die beiden ihr Privatleben nichts anging. Zumal sie sich nichts vorzuwerfen hatten. Erschienen sie nicht immer pünktlich bei den Meetings? Und nahmen sie nicht an allen Geschäftsessen und Barbesuchen teil, die ihnen von oben her verordnet wurden?
    Also beschlossen sie, sich ihre knapp bemessene, gemeinsame Zeit von niemandem nehmen zu lassen, auch von Maike und Harald nicht.
    Außerdem hatte Claudia jetzt andere Sorgen. Sie merkte zwar, dass René das Zusammensein mit ihr genoss, aber körperlich schien es ihm dieser Tage nicht besonders gut zu gehen. Abseits des Bettes wirkte er ziemlich erschöpft, und seine Haut sah noch nikotingelber aus als sonst. Außerdem litt er immer noch oder schon wieder unter Durchfall. Er behauptete, das käme vom Essen, aber das nahm sie ihm nicht ab.
    Als er am Donnerstagabend nach dem Sex im Bad verschwand, um wieder eine seiner endlos langen Sitzungen zu halten, stand sie auf und sah sich in seiner Schrankhälfte um. Sie fühlte sich hundsmiserabel dabei, und das Herz klopfte ihr bis zum Hals, aber sie konnte nicht anders.
    Zwischen seinen Slips und Socken fand sie nichts, genauso wenig wie im Nachttisch oder im Rollkoffer. Auch hinter dem Fernseher, unter der Matratze und in der Minibar lag nichts. Sie ließ ihren Blick im Zimmer umherschweifen, bis er

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