Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
nicht auf die Idee, mir danken zu wollen, dass ich euch helfen möchte.“
„Ich hab wohl ein paar Cocktails zu viel getrunken“, sagte Claudia kläglich und sah von einem zum anderen. „Ihr wisst ja: Ich vertrag nichts. Und was das andere angeht … Ich wollte doch nur, dass wir ein bisschen Spaß haben.“ Ihre Stimme erstarb.
Am Montag mussten René und sie sich wieder Lebewohl sagen.
Als sie in Frankfurt gelandet waren und im Terminal auf seinen Anschlussflug warteten, hätte Claudia ihm gern gesagt, dass sie keine Fernbeziehung mehr wolle und dass es so nicht mit ihnen weitergehen könne. Aber sie brachte kein einziges Wort über die Lippen.
Als sie später allein in der Bahn Richtung Norden saß und ihre Tränen endlich versiegt waren, fasste sie den wahrscheinlich dümmsten, impulsivsten und folgenschwersten Entschluss ihres Lebens. Sie holte ihren Laptop aus dem Handgepäck, klappte ihn auf und schrieb ihrem Mann einen Brief:
„Lieber Leo,
bitte verzeih mir, dass ich dir gleich fürchterlich wehtun muss, aber die Sache ist die: Ich liebe einen anderen Mann, und zwar schon seit über einem Jahr. Er heißt René, und er war vom ersten Moment an in meinem Kopf und meinem Herzen und ist nicht wieder gegangen. Wir lachen über die gleichen Dinge, tanzen und reisen gern zusammen, haben den gleichen Beruf und die gleichen Interessen … Und obwohl er mich genauso liebt wie ich ihn, wird es wohl niemals etwas mit uns werden. Trotzdem ist sein Platz in meinem Herzen besetzt, und das wird immer so bleiben, egal, ob wir letztlich zusammenkommen oder nicht.
Es tut mir leid, dass ich dich so lange belogen und betrogen habe, aber mein vorheriges Leben ist wie weggewischt, seit ich René kenne, und deshalb möchte ich dich bitten, auszuziehen. Nicht von heute auf morgen, aber irgendwann in nächster Zeit, sobald du eine passende Wohnung gefunden hast. Außerdem möchte ich die Scheidung.
Lieber Leo, es fällt mir so schwer, das nach 16 Jahren von dir zu verlangen. Du bist einfach wundervoll, und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass wir die besten Freunde bleiben. Aber ich kann nicht mehr mit dir verheiratet sein. Ich liebe nun mal diesen anderen Mann. Er ist das große Kernstück in meinem Leben, und alles, was ich fühle, denke und mache, bezieht sich auf ihn und nur auf ihn.
Ich komm heute Abend gegen halb acht am Hauptbahnhof an. Du brauchst mich nicht abzuholen. Ich nehme die S-Bahn.
Hoffentlich kannst du mir vergeben, irgendwann einmal.
Deine Claudia“
Kaum war der Brief fertig, schickte sie ihn auch schon per E-Mail ab, und um sicherzugehen, dass Leo ihn auch tatsächlich bekam und las, rief sie ihn zu Hause an und sagte ihm, dass er in sein Postfach sehen solle.
Danach war ihr Schicksal besiegelt. Sie saß für den Rest der Fahrt nur still da, lehnte ihren Kopf an die kühle Fensterscheibe und sah die vorbeifliegende Landschaft an.
Kapitel 4: Vor acht Jahren
Weil die Sehnsucht sie fast auffraß, trafen Claudi und René sich im Frühherbst zu einem Kurzurlaub im Mangfallgebirge. Ihren Ehepartner logen sie vor, dass sie an einem Seminar zum Thema Abwehrstrategien gegen Kundenbeschwerden teilnahmen.
Sie kamen bei freundlichen Wirtsleuten unter, die ihnen die Einliegerwohnung der verstorbenen Großmutter vermieteten. Dort gab es gedrechselte Stilmöbel, bunte Butzenscheibenfenster und dunkle Balken an den Decken sowie einen holzgeschnitzten Balkon mit üppigen Geranienschleppen und einen überwältigenden Blick auf das Alpenvorland. Das Ambiente hätte nicht schöner sein können.
Sieben zauberhafte Tage lang konnten sie fernab aller Sorgen und Verpflichtungen in ihrem Landhausbett liegen, mit den Fahrrädern ihrer Gastgeber den See im Tal umrunden oder mit der Seilbahn auf den Hausberg des Touristenortes fahren, um von dort aus den Blick über die Hochalpen zu genießen.
Nur am Mittwoch musste René für ein paar Stunden wegfahren, denn er hatte einen Termin bei seinem Internisten. Claudi flunkerte er vor, dass er seine Eltern im Heim besuchen wolle, und das nahm sie ihm ohne Weiteres ab. Als er später wieder da war und seine Medikamente nehmen wollte, hatte er das Gefühl, dass sie nicht mehr in der gleichen Reihenfolge in der Kleiderstange steckten wie vorher. Die Ursodesoxycholsäure lag gleich vornan. Dabei schob er sie immer als Erstes in das Rohr zurück. Aber vielleicht irrte er sich auch, denn Claudi gab sich weiter unbefangen und hing ihm zärtlich am Hals.
Die Woche verging
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