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Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Titel: Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Steen
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verdient.

Kapitel 8: Vor sechs Jahren
     
    „Ist da Christine Glaubitz vom Lebergesprächskreis?“
    „Ja.“
    „Mein Name ist Claudia Sommerfeldt, und ich wollte Sie fragen, ob ich vielleicht mal bei Ihnen vorbeischauen könnte. Mein Mann hat PSC, und es gibt da einige Dinge, über die ich gern mit Ihnen sprechen würde.“
    „Kommen Sie ruhig vorbei. Diese Woche fällt das Treffen allerdings aus, weil wir gerade bei einem Lebersymposium in Norddeutschland sind.“
    „Wo sind Sie denn genau?“, fragte Claudia, und als die Frau es ihr sagte, fiel ihr fast der Unterkiefer herunter.
    „Was? Sie sind in der Stadt? Das gibt’s doch nicht! Ich bin auch gerade hier, weil mein Exmann krank geworden ist. Wäre es möglich, dass wir uns heute schon verabreden?“
    „Ja klar. Kennen Sie das Eiscafé Scarelli am Dorenthiner Platz? Wir werden gegen fünf da sein.“
    „Ja, das kenne ich, und der Zeitpunkt würde mir auch passen.“
    „Gut, dann treffen wir uns dort. Ich bin die Blondine im roten Kleid.“
    „Bis dann. Und vielen Dank.“
    Als Claudia am späten Nachmittag die Eisdiele betrat, sprang ihr die Frau gleich ins Auge. Sie sprach gerade mit einem Mann, der ein unnatürlich rundes Gesicht hatte und bedächtig ein giftgrünes Sorbet löffelte.
    „Wenn Sie einverstanden sind, lassen wir das Sie gleich weg“, sagte sie bei der Begrüßung. „Ich bin Chrissi, und der junge Mann zu meiner Rechten heißt Olli.“
    „Seid ihr ein Paar?“, fragte Claudia.
    „Um Himmels willen, nein“, sagten beide wie aus einem Mund und tauschten zwei halb verdutzte, halb amüsierte Blicke.
    „Wir haben uns vor drei Jahren im Krankenhaus kennengelernt“, sagte Chrissi dann. „Ich hab dort eine halbe Leber eingebüßt, und Olli hat eine halbe bekommen. Allerdings nicht von mir. Schade auch. Die hätte ich ihm gern gegeben.“
    Nachdem Claudia Platz genommen und sich ein veganes Tiramisueis mit gefrorenem Wasabistaub bestellt hatte, machte sie noch ein bisschen Small Talk über das Wetter und die touristischen Vorzüge der Stadt. Dann kam sie auf den Gesprächskreis zu sprechen und erfuhr, dass er seit drei Jahren bestand.
    „Nach Ollis und meiner OP gab es noch so viel nach- und aufzubereiten“, sagte Chrissi. „Als Einzelkämpfer stehst du da auf verlorenem Posten. Also haben wir uns zusammengetan und treffen uns seitdem zweimal im Monat in verschiedenen Lokalen. Du weißt ja: Wenn du nicht mehr weiterweißt, gründe einen Arbeitskreis. Wir verstehen uns aber eher als Selbsthilfegruppe für Betroffene und Angehörige. Jeder kann kommen und über das reden, was ihn beschäftigt, und die anderen hören ihm zu. Allerdings besteht unser Kreis im Moment nur aus zwei Personen, aus Olli und mir.“
    „Anfangs waren wir zu siebt“, sagte Olli. „Aber drei Mitglieder sind inzwischen verstorben, und ein Geschwisterpaar redet nicht mehr mit uns.“
    „Untereinander auch nicht mehr“, sagte Chrissi.
    „Wieso nicht?“, fragte Claudia.
    „Ach, das ist so ’n Ding“, sagte Olli. „Die Schwester hat dem Bruder eine Leberhälfte gespendet, und die wurde wieder abgestoßen. Darüber sind sich die beiden in die Haare geraten.“
    „Leider spielen sich vor und nach einer Transplantation sich oft menschliche Dramen ab“, sagte Chrissi.
    „Tragödien“, sagte Olli.
    „Katastrophen“, sagte Chrissi.
    Claudia sah die beiden fragend an.
    „Nimm nur mal folgendes Beispiel“, sagte Olli. „Eine Frau spendet ihrem Mann ein Lebersegment, und die Sache geht schief, das Organ wird wieder abgestoßen. Die Frau heult vor Frust los, und der Mann fühlt sich doppelt mies. Irgendwann hält er es nicht mehr aus und blafft sie an, dass sie endlich still sein soll.“
    „Aber das nützt nicht“, fuhr Chrissi fort. „Jetzt heult sie sich erst recht die Augen aus dem Kopf, und er bezeichnet sie als Heulsuse. Sie flennt ihn an, dass er sie nicht so anschnauzen soll. Er rastet aus und nennt sie eine hysterische Kuh ...“
    „… und irgendwann rennt sie aus dem Haus und denkt: Für diesen undankbaren Scheißkerl hab ich mich nun unters Messer gelegt“, sagte Olli.
    „So gibt ein Wort das andere, und am Ende liegen alle am Boden“, sagte Chrissi. „Statt einer zerstörten Existenz gibt es zwei.“
    „Bei René und mir würde das anders laufen“, sagte Claudia.
    „René ist dein Mann?“, fragte Olli.
    „Ja, mein zweiter.“
    „Und du bist sicher, dass ihr so eine Situation aushalten würdet?“, fragte

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