Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
Chrissi.
„Absolut.“
„Das hat die Frau, die nicht mehr mit uns reden will, auch erst behauptet“, sagte Olli.
„Und nun gibt sie uns die Schuld“, sagte Chrissi. „Sie meint, dass wir sie zu etwas gedrängt haben, das sie eigentlich gar nicht wollte. Dabei ist das Quatsch. Wir sagen niemandem, was er tun oder lassen soll. Das muss schon jeder selbst entscheiden.“
„Und jetzt erzähl mal“, sagte Olli. „Was ist mit dir und deinem Mann?“
„René hat PSC, und er …“ Claudia brach ab, sah die beiden an … und dann geschah etwas ganz Furchtbares. Ihr schossen Tränen in die Augen, und sie sagte im Tonfall eines Großkapitalisten, der sein ganzes Geld an der Börse verzockt hatte: „Er will meine Leberhälfte nicht! Dabei möchte ich sie ihm so gern geben.“ Dann fing sie hemmungslos an zu schluchzen. Und gleichzeitig wusste sie: Kein Argument, kein Widerstand von wem auch immer würde jemals so mächtig sein, dieses eine Bedürfnis in ihr zum Schweigen zu bringen.
Chrissi und Olli sahen sie betroffen an. Bis sie irgendwann ein Taschentuch hervorkramte, sich die Nase schnäuzte und sagte: „Er kann den Gedanken nicht ertragen, dass irgendso ein Halsabschneider meinen Körper aufschneidet und ausweidet. So nennt er es immer: ausweiden . Dabei würde ich für ihn sterben. Aber er wird immer total sauer, wenn ich was in der Art sage.“
„Steht es denn schon so schlimm mit ihm?“, fragte Chrissi.
„Es ist nicht so, dass sein Leben schon am seidenen Faden hängt. Objektiv gesehen geht’s ihm wohl noch ganz gut, zumindest behauptet sein Arzt das. Aber subjektiv …“
„… erlebt ihr bereits den totalen Horror.“
„Ja.“
„Aber wir reden hier noch über ungelegte Eier, richtig?“ fragte Olli.
„Ja und nein“, sagte Claudia und zerknüllte ihr Taschentuch, bis es fast auseinanderfiel. „Irgendwann kommt das mit der Transplantation auf uns zu, und dann müssen wir vorbereitet sein. Das ist doch ein schwieriger Eingriff. Außerdem geht’s ums Prinzip. René ist einfach nicht bereit, sich mit seiner Krankheit auseinanderzusetzen. Wenn er könnte, würde er sogar noch seine Röntgenbilder retuschieren, nur damit er das Gefühl haben kann, es sei alles in Ordnung.“
„So sind die Männer“, sagte Chrissi. „Die springen vom 20sten Stock und sagen noch beim achten: Bis hierher ging’s gut.“
„Sonst ist René so sanft und zärtlich“, sagte Claudia. „Aber sobald ich von meiner Spendenbereitschaft anfange, wird er fuchsteufelswild.“
„Du solltest dir nicht zu viele Gedanken machen“, sagte Olli mit einem aufmunternden Lächeln. „Am Ende wird er sie schon nehmen, deine Leberhälfte. Wenn man kurz vor der Urne steht, fängt man plötzlich an, am Leben zu hängen.“
„Das sag ich mir auch oft: Alles wird gut, wenn wir uns gemeinsam der Sache stellen. Aber da liegt ja der Hase im Pfeffer. René will sich nicht stellen, er will nicht, dass ich sein Schicksal auf mich nehme.“
„Ich wünschte, wir könnten euch helfen, aber das geht leider nicht“, sagte Chrissi. „Die Entscheidung für oder gegen eine Lebendspende muss jeder selbst treffen. Das kann einem kein Mensch abnehmen. Das ist ja das Dilemma.“
„Und auf Dilemmas gibt es leider keine richtigen Antworten“, sagte Olli. „Man muss halt abwägen. Alles hat Vor- und Nachteile. Ein ewiges Einerseits, Andererseits.“
„Ich weiß, dass ihr uns nicht helfen könnt“, sagte Claudia. „Aber es tut schon gut, mit euch darüber zu reden. Ihr kennt euch mit der Materie aus, ihr seid Gleichgesinnte.“
„So gleich gesinnt sind wir gar nicht“, sagte Chrissi. „Olli und ich vertreten zum Beispiel völlig unterschiedliche Meinungen, was Lebendspenden angeht. Ich würde die Sache gern wieder rückgängig machen, wenn ich es könnte, und er würde es jederzeit für andere tun. Aber wir reden darüber und lassen beide Meinungen nebeneinander stehen. Mehr können wir nicht tun. Wir halten deinem Mann und dir auf jeden Fall die Daumen, egal, wie ihr euch letzten Endes entscheidet.“
„Das ist nett, und danke für die offenen Worte“, sagte Claudia.
Als sie sich später von den beiden verabschiedete, sagte sie: „Ehrlich gesagt hatte ich Angst, dass ihr die ganze Zeit über Statistiken oder Gamma-GT-Werte quatscht.“
„Keine Bange, das machen wir nicht“, sagte Olli.
„Wenn es euch recht ist, wäre ich zu Hause gern öfter dabei.“
„Herzlich gern, du bist uns immer willkommen“, sagte
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