Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
im Frühjahr zu Besuch kamen, verlebten sie ein herrliches Wochenende in der Stadt und der näheren Umgebung. René freute sich auch, Franzl und Moritz wiederzusehen. Mit ihnen konnte er nach Herzenslust herumblödeln, und sie bremsten ihn nie aus, wenn es dabei wild zuging. Sie interessierten sich überhaupt wenig für seine Krankheit und alles, was damit zusammenhing. Solange er sich überhaupt noch rühren konnte und ihnen hin und wieder seinen Laptop und sein Mobiltelefon zum Spielen überließ, war für sie die Welt in Ordnung.
Im Moment war das Leben richtig schön, fand René. Nach der neunten Stent-OP ging es ihm auch wirklich gut. Aber er wusste natürlich, dass dies kein Dauerzustand bleiben würde.
Deshalb kramte er am Samstagmorgen die Löffelliste wieder heraus, die er vor ein paar Jahren angelegt hatte. Sie umfasste folgende Punkte:
Punkt 1: Die Liebe seines Lebens erobern. (War bereits geschehen.)
Punkt 2: Mit der Liebe seines Lebens ein Kind zeugen. (Daran arbeitete er noch.)
Punkt 3: Ein komplettes Fußballspiel durchstehen und gewinnen. (Stand noch aus.)
Punkt 4: Eine riesige Portion Pommes rot-weiß essen. (Das war böse, ganz böse. Aber er würde es heute in Angriff nehmen.)
Punkt 5: Noch möglichst viele Lebensjahre herausholen. (Deswegen hing er ja ständig in der Klinik herum.)
Punkt 6: Eine Ballonfahrt machen. (Eigentlich liebäugelte er eher mit einem Bungeejump, am besten von einer Aussichtsplattform in schwindelnder Höhe oder von einem Autokran. Er hatte nun mal diese Liebe zum Extremsport, und die wollte er gern ausleben, bevor es zu spät war. Aber letztlich war das wohl doch zu riskant. Nachher rissen ihm die Schwer- und Fliehkräfte noch die Eingeweide aus dem Leib. Seine Leber reagierte eh schon recht empfindlich auf Stöße und Puffe von außen. Also beließ er es bei einer Ballonfahrt.)
Punkt 7: Mit der Liebe seines Lebens einen Joint rauchen. (Ob er die brave Claudi jemals dazu überreden konnte, bezweifelte er. Sie hatte oft verrückte Ideen von ganz eigenem Reiz, aber sie würde niemals gegen irgendwelche Gesetze verstoßen.)
Punkt 8: Mit der Liebe seines Lebens an einem öffentlichen Ort vögeln. (Da sah er schon mehr Chancen, denn was Sex anging, kannte Claudi keine Tabus. Wenn sie erst mal in Fahrt war, vergaß sie Raum und Zeit.)
Punkt 9: Mit der Liebe seines Lebens einen Volkstanzkurs besuchen. (Diesen Punkt hatte er kürzlich hinzugefügt, und es würde verdammt schwer werden, ihn zu erfüllen. Aber Claudi zuliebe war er bereit, das auf sich zu nehmen.)
Punkt 10: (Hatte er sich noch offengelassen. Nichts war schlimmer, als keine Wünsche mehr in petto zu haben.)
So, das war’s. Mehr Punkte umfasste seine Liste nicht.
Heute stand Punkt 4 auf dem Programm, und weil René dabei Zuschauer und Unterstützer brauchte, lotste er seine Familie vormittags in die Innenstadt und lud sie in eine Frittenbude ein. Seit er krank war, legte er ein beachtliches Tempo an den Tag, wenn es um die Umsetzung seiner Wünsche und Pläne ging. Der Satz „Das will ich unbedingt noch mal machen, irgendwann“ galt jetzt nicht mehr für ihn. Wenn es etwas zu erledigen gab, tat er es in der Regel sofort, denn er wusste, dass er nicht mehr ewig Zeit hatte.
Als er seinen Lieben von dem Vorhaben erzählte, erklärten sie ihn natürlich für verrückt. Aber er blieb dabei: Er würde heute eine riesige Portion Pommes rot-weiß verdrücken, und wenn’s das Letzte war, was er tat.
„Das war früher mein Leib- und Magengericht“, sagte er, als sie später in der Pommesbude Platz genommen hatten und die appetitlich dampfende Portion betrachteten, die vor ihm stand. „Gut möglich, dass ich nachher über der Kloschlüssel hänge, aber ich werde es tun.“
„Ich halt dir bestimmt nicht den Kopf“, sagte Claudi.
„Aber wir“, sagten die beiden Buben und sahen ihn begeistert an.
„Ich find’s cool, wenn dein Magen im Arsch ist“, fügte Franzl hinzu.
„Und ich find’s cool, wenn du kotzt“, sagte Moritz.
„Bei meinem Verdauungstrakt hab ich genau zwei Möglichkeiten“, sagte René. „Aufgeben und jeden Tag Haferschleim löffeln. Oder dem Leben die Stirn bieten und noch ein bisschen Spaß haben.“
„Viel Vergnügen“, sagte Tanja.
„Das liebe ich so an dir, Schwesterherz. Dass du mir viel Spaß wünschst, wenn ich Sachen mache, die mich teuer zu stehen kommen. Dass du die Klappe hältst, obwohl du genau siehst, dass ich Mist baue.“
„Du hättest ihn mal als Kind
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