Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
sich dann nichts tat mit seiner Gesundheit oder seinem Wohlergehen, war Schluss mit lustig. Dann würde er doch lieber nach Lourdes pilgern, um sich dort von den anderen Gläubigen gesundbeten zu lassen. Das war billiger und hatte sich schon jahrhundertelang bewährt.
Dieser Gedankengang schreckte ihn gleich noch mehr hoch. Wieso andere Gläubige? Hatte er doch noch sein Herz für das Christentum entdeckt, obwohl er bisher nie etwas damit zu tun haben wollte? Würde der Krankheit das gelingen, was weder seinen Eltern noch dem Pfarrer in seinem erzkatholischen Heimatkaff gelungen war: ihm den großen Chef da oben nahezubringen? Vielleicht. Im Schützengraben gibt’s keine Atheisten, so hieß es doch immer. Und er hockte im Schützengraben, seit Jahren schon.
Nach dem Vorgespräch entknoteten Agnes Windhorst und er ihre Beine, erhoben sich aus der Sitzlandschaft und gingen zur Tür. Dort fiel René noch etwas ein.
„In deiner Annonce stand, dass du auch Fernheilungen machst“, sagte er. „Wäre das bei mir möglich?“
„Das ist kein Problem“, sagte sie. „Wir sind Teil des gleichen Energiefelds, und das kennt keine Mauern und Entfernungen, das wird ausschließlich durch Konzentration gelenkt. Ich sitze meinen Klienten zwar lieber von Angesicht zu Angesicht gegenüber, aber wenn es nicht geht, ist es auch in Ordnung. Ich bin so oder so für sie da.“
Das erleichterte René ungemein, denn er legte keinen Wert mehr auf ihre Gesellschaft.
„Letzte Frage: Kann ich auch bar bezahlen?“
„Ja, natürlich.“
Also verabredeten sie für den folgenden Tag eine einstündige Fernsitzung. Danach drückte er ihr 75 Euro in die Hand und verließ aufgewühlt, verstört und zutiefst beschämt die Praxis.
Draußen lärmte der Kohldampf immer noch in seinem Magen und in seinen Gedärmen herum. Aber er ignorierte es und hängte sich sofort ans Telefon, um Claudi anrufen. Er hatte nicht vor, ihr von seinem Ausflug in die esoterische Welt zu erzählen, aber er wollte so gern ihre Stimme hören. Da sie um diese Zeit gerade im Meeting saß, drang er nur bis zu ihrer Mailbox durch, aber das war ihm egal. Dank ihrer kleinen Zauberkästen und der globalen Vernetzung kannte auch ihre Liebe und Verbundenheit keine Zeit- und Raumgrenzen mehr, und das empfand er als Segen.
Als er Claudis Ansagetext lauschte, quoll eine wilde Zärtlichkeit in ihm hoch. Deshalb sagte er ihr nach dem Piepton das, was er ihr viel zu selten sagte: dass er sie liebte, und dass er sie liebte, und dass er sie liebte! Am liebsten hätte er noch hinzugefügt: „Weil du so schön normal bist und nie die Bodenhaftung verlierst.“
Aber er war sich nicht sicher, ob sie das als Kompliment aufgefasst hätte.
Kapitel 13: Vor dreieinhalb Jahren
Am Freitagvormittag ließ Claudia sich von Chrissi in deren Boutique neu einkleiden. Sie brauchte dringend ein klassisches Kostüm, denn nächste Woche würde Harald sie wieder auf einer Kundentour begleiten. Erst gestern hatte er ihr seine Garderobenrichtlinien zugemailt. Er wollte nicht weniger als das Beste vom Besten des Besten an ihr sehen, und das möglichst in neutralen Farbtönen wie Staubgrau, Kamelbraun oder Marineblau. Er habe auch nichts gegen Röcke einzuwenden, ließ er sie wissen.
Natürlich schimpfte sie über seine Intoleranz gegenüber den weiblichen Haverpore -Mitarbeitern und seine ebenso vorsintflutlichen wie übersteigerten Ansprüchen, was deren Erscheinungsbild betraf. Aber mittlerweile war sie bereit, sich seinem Geschmack anzupassen. Schließlich musste sie Geld verdienen, sehr viel Geld, und er war der Schlüssel dazu.
„Sehen wir uns heute Abend?“, fragte Claudia, als sie nach dem Bezahlen ihre Kreditkarte wieder im Portemonnaie verstaute.
„Ja, und ich freu mich schon darauf“, sagte Chrissi. „Mach dich auf eine Überraschung gefasst.“
„Welche denn?“
„Das sag ich nicht. Sonst wär es ja keine Überraschung mehr.“
„Stimmt auch wieder. Du, ich bring wahrscheinlich Renés Schwester mit. Die besucht uns dieses Wochenende und interessiert sich für unsere Truppe. Du weißt ja: Ihr Mann ist an Krebs gestorben.“
„Wie geht’s René denn?“
„Seit seine Gallenblase draußen ist, hat er keine Koliken mehr. Wenigstens etwas. Er wird heute entlassen.“
„Wie schön.“
Nachdem Claudia den Laden verlassen hatte, machte sie sich mit ihren Tüten und Taschen auf den Weg zur Uniklinik, und weil das Wetter heute so schön war und sie nachher mit Tanja nach Hause
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