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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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Botschaft, dass wir auf Hilfe hoffen könnten. Was für eine Nachricht! Wir sollten zur bundesdeutschen Botschaft in Budapest gehen. Der Mitarbeiter des Landeskriminalamtes habe da etwas eingefädelt. Wir planten also eine Urlaubsreise nach Ungarn, die offiziell zwei Wochen dauern sollte. Ende April, Anfang Mai. Natürlich konnten wir nicht einfach so in das „befreundete“ Ostblock-Land losfahren: Es gab tatsächlich nur zwei Länder, in die man als DDR-Bürger spontan und nur mit Ausweis reisen konnte, Polen und die Tschechoslowakei. (Ende 1980 war es dann nur noch eines: Polen wurde mit dem Kriegsrecht für DDR-Bürger fast komplett dicht gemacht.) Für die Fahrt nach Ungarn reichte der Ausweis allein also nicht aus, man benötigte noch eine sogenannte „Anlage zum visafreien Reiseverkehr“. Wie war das denn jetzt schon wieder zu verstehen? Ohne dieses Papier könnten wir nicht nach Ungarn fahren? Visafreier Verkehr? Was ist diese „Anlage“ anderes als ein Visum? Der Unterschied bestand darin, dass dieses Visum nicht von dem Land ausgestellt wurde, das man besucht, sondern von dem Land, aus dem man kam. Jeder DDR-Bürger musste also bei seiner Regierung nachfragen, ob er in ein sogenanntes „Bruderland“ reisen dürfe. Alles wurde kontrolliert. Wie viel Misstrauen kann ein Staat seinen eigenen Bürgern noch entgegenbringen?
    Ende März ging es dann los. Wir waren alle sehr aufgeregt, versuchten aber, uns nichts anmerken zu lassen. Innerhalb von zwei Tagen wollten wir Budapest in Ungarn erreichen. Als reisender DDR-Bürger wurde man immer als Mensch zweiter Klasse behandelt. Es war ganz genau vorgeschrieben, wie viel Geld mitgenommen werden durfte. Das war so knapp bemessen, dass es unmöglich war, ein Hotel zu nehmen. Als DDR-Bürger konnte man, wenn man nicht eine Pauschalreise gebucht hatte, schon deswegen nur in Privatunterkünften oder auf Zeltplätzen übernachten. Wir waren gewöhnt, einfach mit dem Auto loszufahren und spontan eine Unterkunft zu suchen. Klar, dass das Geld dafür nicht reichen würde. Deshalb mussten wir einen Teil der verbliebenen D-Mark für diese Reise benutzen. (Wir hatten ohnehin unser gesamtes Geld mit: 80.000 DDR-Mark und 8.000 DM in ein Federkissen eingenäht. Das war allerdings verboten, selbst das eigene Geld durfte man ja nicht in unbegrenzter Höhe mitführen. Das sollte später noch ein Nachspiel haben.)
    Da wir nicht vorhatten, zurückzukehren, nutzten wir die genehmigten tschechischen Kronen für eine Übernachtung in Prag und eine Tankfüllung. Uns erstaunte, wie scharf die Kontrollen an den Grenzen waren. Es waren doch befreundete Länder. Wir kannten das anders. Auf unseren Fahrten durch Westeuropa wurden wir fast immer nur vorbeigewinkt. Am Grenzübergang zwischen der Tschechoslowakei und Ungarn gab es sogar zwei Wartespuren: Eine für Reisende aus den Ostblock-Ländern und eine für Reisende aus dem Westen. Interessanterweise ging die Abfertigung in der Spur für Westler sehr schnell, es gab dort kaum Wartezeit. An der anderen Abfertigung hatte sich aber eine lange Schlange gebildet, wo wir uns als DDR-Bürger brav anstellten. Wir befürchteten schon eine lange Warterei, aber unser Auto bescherte uns eine erhebliche Verkürzung. Ein Grenzer schlenderte etwas gelangweilt an der Warteschlange vorbei. Er stutzte kurz, als er unseren „Audi“ sah, fing wild an zu gestikulieren und gab uns zu verstehen, aus dieser Schlange auszuscheren und die West-Spur zu benutzen. Wir folgten seiner Aufforderung, seine Überraschung war groß, als er unser DDR-Kennzeichen sah, aber es war zu spät: Wir wurden dann sehr zügig abgefertigt.
    Ungarn wirkte auf uns ein klein wenig wie Westen, ein bisschen so wie früher auf unseren Reisen in den Süden Europas. Innerhalb des Ostblocks war Ungarn damals das westlichste Land. Es gab Coca-Cola, Agip-Tankstellen…; überhaupt wirkte alles ein kleines bisschen bunter und freundlicher als in der DDR und auch der Tschechoslowakei. Die Coca-Cola schmeckte zwar wie zu Hause, die Pommes aber waren nicht so gut… In Budapest buchten wir zunächst einmal eine Privatunterkunft. Recht schnell fanden wir heraus, wo sich die bundesdeutsche Botschaft befand.
    In der Hoffnung, uns würde dort geholfen werden, gingen wir schon am nächsten Tag dorthin und klingelten. Wie überall im Ostblock standen vor der Botschaft Polizisten, die uns aber nicht behelligten. Ein Risiko war das aber schon, da wir nicht wussten, ob wir registriert und die

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