Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie
Erst am 14.12.1979 wurde er ausgewiesen. Den genauen Termin seiner Ausreise erfuhren wir erst eine Stunde vorher.
Damit war Wirklichkeit geworden, dass wir einen Sohn verloren hatten, der am Anfang der Berufsausbildung stand, diese um ein ganzes Jahr verloren hatte, in der Heimat ohne Unterstützung seiner Eltern, ohne seinen Bruder leben muss und nur noch das Glück hatte, in der Familie seiner Freundin aufgenommen zu werden.
… Bei unserem Sohn Thomas war die Erreichung des Abiturs wegen seiner guten bis sehr guten Leistungen am Gymnasium mit dem Ziel des Architekturstudiums ohne Probleme vorgezeichnet. Der Versuch einer Fortführung an der EOS Immanuel Kant war schon aus Gründen der nicht möglichen Anpassung zum Scheitern verurteilt. Selbst die von Bezirksschulrat Dr. Rolack (Berlin) vorgeschlagenen Möglichkeiten (Nachhilfeunterricht usw.) konnten keine Lösungen der unüberwindlichen Probleme bringen. Sie wären auch schon wegen der katastrophalen psychologischen Grundstimmung von Thomas nicht durchführbar gewesen, denn es ist eine unmenschliche Zumutung, einem jungen Menschen nach dem Verlust der Heimat, aller bisherigen Werte und aller Freunde ihm eine unglaublich höhere Belastung aufzuerlegen, unter der die anderen Mitschüler in den letzten Jahren vor dem Abitur ohnehin stehen….
Im Laufe unseres Hierseins hat sich immer stärker gezeigt, dass eine Anpassung aufgrund der zu verschiedenen Lebensverhältnisse unmöglich ist. Das trifft besonders auf meinen Sohn Thomas (17 Jahre alt) und auf meine Frau zu. Die Einschränkungen bei Reisen sind für uns als ehemalige Bundesbürger unerträglich, zumal selbst vorher in Aussicht gestellte Reisemöglichkeiten nun auch nicht mehr durchführbar sind.
Die vorher zugesicherte Gleichstellung der Lebenshaltung bzw. des Lebensstandards zu früher erweist sich nun als radikale Herabsetzung. … Zur Altersversorgung ist zu erwähnen, dass ich ohne Hochrechnung auf das Einkommen zur Zeit meines Rentenalters (bei Schwerbeschädigten mit 60 Jahren) heute bei Invalidität eine Rente von 78% des Bruttoeinkommens bezogen hätte, nämlich 78% von 4652,- DM = 3628,56 DM. 60% meiner Rentenbezüge wären im Falle meines Todes an meine Frau als Witwenrente gezahlt worden (60% von 3628,56 DM = 2177,14 DM). … Demgegenüber wurden meiner Frau hier die Mindestrente von 270,- M als Rente bzw. Witwenrente in Aussicht gestellt. Entspricht das einer Erhaltung aller bisher erworbenen Ansprüche? Das kann unter gar keinen Umständen von uns akzeptiert werden. …
Zu erwähnen ist ferner, dass durch die im Laufe der Zeit erfahrenen Lebensbedingungen sowohl meine Frau, mein Sohn und ich unter starken Kreislauf- und Nervenstörungen leiden, die bei mir seit Beginn dieses Jahres zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben. Mein derzeitiges Einkommen (Krankengeld) beträgt nämlich z.Z. 300,- M. Das ist ziemlich genau der Betrag, den ich monatlich allein als Miete zu zahlen habe.
Es ist uns unvorstellbar, wie diese Verhältnisse als Ausgleich an den bisherigen Lebensstandard anzusehen sind, wie es uns zugesichert wurde.
Der Antrag auf Ausreise ist damit hinreichend begründet. Denn bei Kenntnis der Entwicklung wären unsere Unterschriften unter die Einbürgerungsanträge in die DDR nicht erfolgt. Dies alles hat sich (im Falle Michael) und wird sich weiterhin als Zerstörung unserer Familie auswirken, die ich unter gar keinen Umständen zulassen werde.
…
Daher beantragen wir die schnellstmögliche Ausreise nach Österreich. … Wir sind entschlossen, für das Recht unserer Familie zu kämpfen. Wir werden in Zukunft keine Entscheidungen hinnehmen, die unserem Recht, das Schicksal unserer Familie selbst zu bestimmen, entgegenstehen.
Armin Raufeisen“
Vier Tage später, am 23. Mai 1980, standen die Stasi-Leute „Willi“ und „Horst“ vor unserer Tür und verlangten eine Aussprache. Willi begann gleich: „Wie kommst du dazu, zum Ministerium des Innern zu gehen? Du bist nach wie vor Offizier der Reserve des Ministeriums für Staatssicherheit und bleibst es auch. Du hast kein Recht, dich an das MdI zu wenden. Nur dank der Umsicht der Mitarbeiter ist die Information zu uns gekommen und nicht zum Militärstaatsanwalt.“
Damit gab er uns zu verstehen, wir würden außerhalb der Gesetze stehen. Diese Aussage bezog er nicht nur auf meinen Vater, sondern auf alle Mitglieder unserer Familie. Ich hätte „Willi“ und „Horst“ würgen, prügeln, anschreien können. Aber ich saß nur
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