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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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Pass, in Ostberlin besuchen. Natürlich waren wir alle wissbegierig, wie es „drüben“ aussah. Wir alle haben aber auch aufgeatmet, als er ohne Schwierigkeiten wieder abreisen durfte.
    Mein Bruder hatte natürlich den Auftrag, Kontakte zu knüpfen, die uns bei unserem Plan, die DDR zu verlassen, unterstützen könnten. Eine große Verantwortung für einen 19-Jährigen, der bisher keine Veranlassung hatte, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Er musste erst einmal selbst mit dem Leben klarkommen, in das er hineingestoßen wurde; er musste seine berufliche Zukunft gestalten. Immer allein, ohne Rückhalt der Familie. Die Kontakte zum BND und zum Landeskriminalamt Niedersachsen entstanden allerdings ganz von allein, da ein Verfahren gegen meinen Vater lief und Michael dazu befragt wurde. Ein Mitarbeiter im LKA wollte uns auch helfen, wobei seine Möglichkeiten wohl begrenzt waren, wie sich später zeigen sollte. Er konnte uns nicht direkt helfen, sondern nur Empfehlungen geben und Kontakte vermitteln. Um Informationen über irgendwelche Aktivitäten zu übermitteln, hatten mein Bruder und mein Vater unverfänglich wirkende Schlüsselwörter ausgemacht, da wir davon ausgingen, dass unser Telefon abgehört wird.
    Durch die Rückkehr meines Bruders nach Hannover war die Familie endgültig auseinander gefallen. Immerhin hatte mein Vater durchsetzen können, dass Michael uns regelmäßig besuchen konnte – sogar, ohne den Zwangsumtausch zu entrichten. Entspannt war die Situation aber nie; es war immer Vorsicht geboten, was man sagt und wo man etwas sagt.
    Die Erleichterung darüber, dass Michael es wenigstens geschafft hatte, wurde sehr schnell überdeckt durch unsere weiterhin ungelöste Situation. Wir alle hatten gesundheitliche Probleme. Bei meinen Eltern machten sich Kreislaufprobleme bemerkbar, zusätzlich war mein Vater nervlich so am Ende, dass er sich ab Mitte Januar 1980 krankschreiben ließ und ab September Invalidenrente erhielt, mit 52 Jahren. Mich quälten immer häufiger Magenschmerzen, ein permanenter Druck. Später wurde daraus ein Geschwür im Zwölffingerdarm. Da war ich 17. Die Ärztin in der Poliklinik wunderte sich sehr darüber. Junge Menschen haben wohl selten so eine Krankheit. Ich war schon lange in Behandlung bei ihr, so dass ich ihr knapp meine Geschichte erzählte. Sie sagte dazu: „Da wundert mich gar nichts mehr!“ Wegen der Magenprobleme fehlte ich sehr häufig und lange zumindest in der Werkstatt, ich hatte deshalb einen sogenannten Schonplatz in der Rechnungslegung von AutoTrans. Letztlich wurde deshalb auch mein Lehrvertrag verlängert, was dann noch Auswirkungen haben sollte.
    Mein Vater erhielt eine mickrige Invalidenrente. Die Stasi schloss aber pro forma einen Beratervertrag im wissenschaftlichen Bereich mit ihm ab, für den er monatlich weitere 1.000 DDR-Mark bekam. Wir hatten ja die ganze Zeit über schon mehr Geld verbraucht, als monatlich reinkam. Aber das war ja in dem Moment gar nicht so schlimm, da wir ja noch knapp Hunderttausend Mark Agentenlohn hatten.
    Mein Vater wollte das Geld auch nicht auf ein Konto einzahlen, weil er immer Zugriff haben wollte. Wenn in der DDR jemand plötzlich 50.000 Mark abgehoben hätte, dann wäre das sehr ungewöhnlich gewesen; da wäre sicher irgendwo sofort eine Alarmglocke losgegangen. Genau das galt es aber zu vermeiden. Aber wir haben auch von dem Geld gelebt. Es war ja immer genügend da. Wir haben auch nicht darauf geguckt. Es schmolz natürlich. Wir wollten ja nicht lange bleiben… Hunderttausend Mark waren in der DDR ziemlich viel Geld. Uns bedeutete es nicht viel. Was bekam man schon dafür?
    Wir hatten das Geld immer dabei, sogar in den Urlaub haben wir es mitgenommen. Inzwischen waren wir ein Jahr in der DDR, einmal Weihnachten, einmal Ostern, einmal alle Geburtstage. Was sollten wir uns schenken? Das Angebot in Ostberlin war ein Witz, unsere D-Mark-Bestände wollten wir zusammenhalten. Aber uns war meist ohnehin nicht nach feiern. Einzig meine Mutter achtete darauf, dass Traditionen bewahrt wurden, dass es am 1. Weihnachtsfeiertag eine Gans und am Ostersonntag einen Braten gab. Unser Heiligabend-Essen aber scheiterte daran, dass uns zum Lachstoast mit Sahne-Meerrettich schlichtweg der geräucherte Lachs fehlte, den es auch in Ostberlin nicht zu kaufen gab. Also wechselten wir – ganz DDR-typisch – zu Würstchen mit Kartoffelsalat.

Es geht los
     
    Im Frühjahr 1980 erhielten wir von meinem Bruder die verschlüsselte

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