Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie
angeblich gebietet. Wir sind doch nicht verantwortlich für die entstandene Situation. Wollen Sie etwa die Folgen allein von unserer Familie tragen lassen? …
Ich wiederhole hiermit den bereits mündlich abgegebenen Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR für die gesamte Familie. Jede weitere Verzögerung muss ich als zusätzliche Schädigung unserer Lebensinteressen betrachten.
Charlotte Raufeisen“
Spätestens jetzt erfolgte laut Stasi-Akten das ganze Programm an operativen Maßnahmen, also Abhören, Postkontrolle, Bespitzelung auf der Arbeitsstelle, wobei unser Telefon vermutlich schon kurz nach unserem Einzug abgehört worden war.
Mein Vater suchte weiterhin nach Kontakten, ging häufig in Kneipen und Restaurants. Er war so verzweifelt auf der Suche, dass er auch die merkwürdigsten Bekanntschaften daraufhin auslotete, ob sie uns helfen konnten.
Ein zufälliger Kontakt ergab im Frühjahr 1981 eine weitere Hilfemöglichkeit. Er war mal wieder im Restaurant „Sofia“ bei uns direkt gegenüber. Es war übrigens ein sehr gutes Restaurant, in dem es unter anderem auch bulgarische Küche gab. Eines Tages erkannte mein Vater an einem Nebentisch den damaligen Korrespondenten der ARD in der DDR, Fritz Pleitgen. Er sprach ihn an, aber Pleitgen lehnte es ab, seine Korrespondenten-Stelle und staatliche Verwicklungen zu riskieren. Wer weiß, wie viele Menschen sich mit ähnlich seltsamen Geschichten an ihn gewandt haben.
Auch mit dem ZDF-Korrespondenten Joachim Jauer traf sich mein Vater im Juni ‚81 – ohne Erfolg.
Noch eine Idee hatten wir: Unser geplanter Osterurlaub 1979 in Mexiko war ja durch die Flucht meines Vaters ins Wasser gefallen. Wir überlegten, ob wir nicht einen Ersatz beantragen könnten. Kuba lag ja in der Karibik, das wäre doch etwas Ähnliches … Natürlich war uns im Stillen klar, dass es keinen Direktflug nach Kuba gab. Wir wussten, dass die Maschinen in Gander in Kanada zwischenlanden mussten. Da könnten wir ja irgendwie rauskommen… Das war die Idee. Die Reise wurde uns aber nicht erlaubt. Argumentiert haben sie damit, dass der Westen ja ein Interesse hätte, irgendwas gegen uns zu tun, dass wir also gefährdet wären.
Die Lage spitzt sich zu
Eines Tages in diesem Juni 1981 wurde mein Vater von Willi abgeholt, damit ihm ein „Fachmann“ ins Gewissen reden konnte. Die Stasi wusste zwar nichts Genaues, aber sie sahen die Gefahr, dass ihr ehemaliger Agent unbedachte Dinge tun könnte, die strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würden. Das sollte ihm jetzt ein Richter unmissverständlich klarmachen. Er wurde zu einem ernsten Gespräch in die Nähe der Stasi-Hauptzentrale gefahren. Der Richter erzählte ihm in seinem Büro, dass er weiterhin Offizier der Staatssicherheit sei, dass aus Sicherheitsgründen eine Ausreise für ihn und seine Familie auf keinen Fall in Frage käme. Er solle den Bogen nicht überspannen. Feinde der DDR würden harte Strafen zu erwarten haben. Zum Abschluss dieses Ausfluges zeigte der Richter meinem Vater noch den Ort, wo die Feinde der DDR landeten, wenn man ihrer habhaft würde. Es war die Untersuchungshaft des Ministeriums für Staatssicherheit in der Magdalenenstraße, die „Magdalene“.
Diese Aktion war also als scharfe Warnung für meinen Vater anzusehen. Im Mittelalter hat der Folterknecht dem zu Verhörenden auch erst mal die „Instrumente“ gezeigt. Oft hat das genügt. Für mich hatten sie sich auch noch etwas Besonderes ausgedacht. Es war vielleicht zwei Wochen später, Anfang Juli 1981, ich war wie immer bei der Arbeit in der Werkstatt des VEB AutoTrans Berlin. Um 10 Uhr vormittags erschien plötzlich mein Lehrmeister am Arbeitsplatz.
„Thomas, komm mal bitte mit. Da sind zwei Herren, die dich sprechen wollen.“
Ich schaute meine Arbeitskollegen an, zuckte mit den Schultern und ging mit ihm in Richtung Umkleideraum. Dort warteten zwei auffällig unauffällige Herren auf mich. Stasi.
„Wie ist Ihr Name?“
„Thomas Raufeisen.
„Ziehen Sie sich bitte um. Sie müssen mitkommen, zur Klärung eines Sachverhaltes!“
Tausend Dinge gingen mir in diesem Moment durch den Kopf. Auch wenn sie es nicht direkt gesagt hatten: Das war eine Festnahme! Ist es jetzt soweit? Ist alles herausgekommen? Was erwartet mich jetzt? Muss ich jetzt jede Hoffnung begraben? Was ist mit meinen Eltern? Sind die auch schon festgenommen?
Ich sagte: „Ich muss doch arbeiten.“
„Das braucht Sie jetzt nicht zu
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