Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie
die Leipziger Straße zu unserer Wohnung. Auf die Minute genau 24 Stunden lang hatten sie mir einfach mal so gezeigt, wie ein Gefängnis von innen aussieht. Meinten sie tatsächlich, mich mit so einer Aktion vom real existierenden Sozialismus in der DDR doch noch zu überzeugen? Nein, es war die Drohung, mich damit abzufinden, im „großen Gefängnis“ DDR leben zu müssen, sonst würde ich nochmals in verschärfter Form eingesperrt.
In der Wohnung warteten meine Eltern schon ungeduldig auf mich. Die Stasi-Männer hatten schon vorher mit ihnen gesprochen und wollten in meinem Beisein noch einmal mir und meinen Eltern ins Gewissen reden, dass ich bloß keine Nazipropaganda verbreiten solle.
„Wir kennen bei Nazi-Symbolen keinen Spaß. Bei uns in der DDR wird so etwas auf keinen Fall geduldet, sondern im Gegenteil aufs Schärfste geahndet. Euer Sohn hat großes Glück gehabt, dass wir davon frühzeitig erfahren haben und die schlimmsten Konsequenzen für ihn gerade noch verhindern konnten. Das ist aber das allerletzte Mal, dass wir die Hand schützend über euch legen konnten. Noch so ein Ding und wir können leider nichts mehr tun! Ihr müsst auf euren Sohn einwirken, dass so etwas in Zukunft absolut ausgeschlossen ist.“
Mein Vater schaute mich an: „Wie konntest du so etwas tun?“
Ich schwieg, ich wollte kein Wort zu diesem Schwachsinn sagen, bevor diese Arschlöcher nicht unsere Wohnung verlassen hatten. Glaubte mein Vater ihnen wirklich?
Nachdem sie meinen Eltern eingebläut hatten, auf mich aufzupassen, verließen sie die Wohnung. Ich brach sofort mein Schweigen.
„Habt Ihr tatsächlich geglaubt, ich würde so einen Blödsinn veranstalten und uns in so eine Gefahr bringen? Nichts, aber auch gar nichts, ist wahr von dem, was sie sagen! Es ist alles erstunken und erlogen. Die wollten mich nur spüren lassen, wie sich ein Gefängnis anfühlt.“
Meine Eltern glaubten mir natürlich mehr als der Stasi, gerade nach dem, was sonst schon so passiert war. Klar war: Es war unmissverständlich die schärfste und letzte Warnung, nichts gegen die DDR zu unternehmen. Bei uns kroch langsam die Panik hoch. Wir mussten so schnell wie möglich weg; die Stasi war offensichtlich nah dran.
Meine Verhaftung war nicht verborgen geblieben, es ging im Betrieb wie ein Lauffeuer um. Als ich am nächsten Morgen wieder in der Werkstatt erschien, gab es ein großes Hallo. Mein Ansehen stieg extrem: Wer von der Stasi verhaftet wurde, konnte kein Schwein sein! Denn in weiten Kreisen der Bevölkerung war die Stasi nicht besonders gut angesehen. Sie kamen natürlich alle und fragten mich aus, was denn los gewesen sei. Jetzt hatte ich genug von dem Versteckspiel, ich hielt es nicht mehr aus. Ich erzählte die Wahrheit und wie es mir damit ging, in der Fremde festgehalten zu werden, dass ich so schnell wie möglich wieder in den Westen zurück wolle. Ab diesem Zeitpunkt fiel mir die Arbeit dort sogar leichter. Das ewige Lügen und das damit verbundene Misstrauen hatten mich einfach fertig gemacht. Auch die Kollegen gingen nun anders mit mir um, offener, freundschaftlicher.
In unserer Familie wuchs die Verzweiflung aber immer mehr. Meine Verhaftung und auch die Aktion mit meinem Vater zeigten uns: Die Einschläge kommen näher! Lange haben wir nicht Zeit, uns davonzumachen. Die möglichen Fluchtvarianten schmolzen immer mehr zusammen, wurden immer abenteuerlicher. Mein Bruder sollte nun versuchen, zu Fluchthelfern Kontakt aufzunehmen. Wir kannten aus der Zeitung solche Unternehmen wie „ARAMCO“ oder auch „Schütz“, die kommerziell, also gegen Geld, Leute aus der DDR ausschleusten. Es war aber auch bekannt, dass solche Unternehmen von der Stasi massiv unterwandert wurden, was ein besonderes Risiko bedeutete, sich denen anzuvertrauen. Ganz abgesehen von den Schulden, die man im Westen gleich hatte.
Da kam dann doch noch ein kleiner Hoffnungsschimmer. Über meinen Bruder erhielten wir deutliche Hinweise, dass uns jetzt wiederum in Ungarn tatsächlich Hilfe von westdeutscher Seite erwartete. Wir beantragten also für den 10. September 1981 die „Anlagen für den visafreien Reiseverkehr“ nach Ungarn. Egal was passierte, wir wollten aus Ungarn nicht mehr in die DDR zurückkehren! Wenn nicht mit, dann eben ohne Hilfe vom Westen. Das heißt, wir waren bereit, zu versuchen, die grüne Grenze nach Österreich zu überwinden. Wir besorgten Landkarten, um das Grenzgebiet zu Österreich zu erkunden. Die Gegend um den Neusiedler See,
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