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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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„Mark“ bat. Nichts. Es gab einfach keinen Kontakt mehr. Warum? Es war doch alles konkret geplant gewesen, aus welchen Gründen ist es im letzten Moment gescheitert? Wir hatten keine Erklärung dafür. Warum haben sie uns plötzlich fallen gelassen?
    Diese Frage stellten sich bei den späteren Ermittlungen auch die Untersuchungsorgane der Stasi, wie ich der Akte viele Jahre später entnehmen konnte. Die dort beschriebene Erklärung klingt plausibel: Genau in der Zeit wurde damals von der Stasi ein CIA-Agent entdeckt und verhaftet. Dabei handelte es sich zufällig um den einen der beiden, mit denen mein Vater in Kontakt getreten war. Es hatte nichts mit unserem Fall zu tun, es fiel nur zufällig zeitlich zusammen. Die Amerikaner vermuteten aber wahrscheinlich einen Zusammenhang. Sie dachten wohl, mein Vater wäre ein Lockvogel gewesen, er hätte im Auftrag der Stasi diesen Kontakt gesucht. Nicht verwunderlich, dass dieser Kontakt sofort abgebrochen wurde. Durch solch einen dämlichen Zufall scheiterte dieser vielversprechende Versuch, auf den wir so gesetzt hatten.
    Unsere Nerven lagen blank. Mein Vater wurde immer nervöser, trank häufig viel zu viel Weinbrand und Bier, er musste aufpassen, dass er die Kontrolle nicht verlor. Meine Eltern hatten beide immer mehr mit Bluthochdruck zu kämpfen. Ich selbst wurde immer verzweifelter. Ich war inzwischen 18 Jahre alt geworden und die Hoffnung, dann gleich in den Westen zu kommen, hatte sich zerschlagen. Ich hatte ständig Probleme mit meinem Magen, bekam ein Magengeschwür. Zur Arbeit schleppte ich mich nur mit dem größten Widerwillen. Dazu kam, dass ich niemandem etwas erzählen konnte. Ich war zwar ohnehin nur mit Peter befreundet, aber auch er durfte von unseren Plänen, von meiner Verzweiflung nichts erfahren. Ihm gegenüber die Fassade zu bewahren, wenn er gutgelaunt vorschlug, ins Kino oder schwimmen zu gehen, während für mich gerade eine riesige Hoffnung gescheitert war, war eine wahrhaft schwere Übung. Noch einmal Herbst in Ostberlin, Weihnachten, Silvester. Die Raketen flogen kreuz und quer über die Mauer – wie mir zum Hohn. Auf der Straße stießen die Nachbarn mit Rotkäppchen-Sekt an. Und mir war einfach nur zum kotzen.
    Mit der gescheiterten CIA-Connection hatten sich erst einmal alle Pläne zerschlagen. Dazu hatte mein Vater immer wieder unangenehme Gespräche mit dem Stasi-„Betreuer“ „Willi“. Als der ihm endgültig mitteilte, dass aus der Ausreise nichts würde, unterschrieb mein Vater völlig entnervt die Austrittserklärung aus der SED, der Gewerkschaft FDGB und der DSF ( Deutsch-Sowjetische Freundschaft ). Die Mitgliedsbücher drückte er „Willi “ in die Hand. Er solle damit machen, was er wolle. Auch seine Orden wollte er zurückgeben – ein erheblicher Affront gegenüber der SED. Außerdem übergab meine Mutter eine neue von ihr verfasste Erklärung:
    „Berlin, den 24.2.1981
Charlotte Raufeisen
1080 Berlin
Leipziger Str. 48
    An
das Ministerium
für Staatssicherheit
Berlin
    Betr.: Erklärung zu unserem Antrag, die uns erteilte Staatsbürgerschaft zurückzunehmen.
    Ich erkläre mit allem Nachdruck, dass ich die Staatsbürgerschaft der DDR für meine Familie nicht anerkenne, da die Anträge im Februar 1979 nur unter schwerem seelischen Schock und auch unter Zusage falscher Versprechen vorgelegt wurden.
    …
    Aus dem bisherigen Verhalten uns gegenüber habe ich den Eindruck, dass man glaubt, mit der Zurverfügungstellung einer Wohnung und der Befriedigung des Grundbedarfs müssten die Bedingungen für ein zufriedenes und glückliches Leben erfüllt sein. Das entspricht nicht unserer Auffassung vom Sinn des Lebens. Wir akzeptieren nicht, lebenslänglich eingesperrt zu sein und zusehen zu müssen, dass Leute mit Privilegien (z.B. Reisen ins Ausland) sich Bedingungen schaffen, die man unseren Kindern, die in einer Welt aufwuchsen, in der diese zu den wichtigen selbstverständlichen Bestandteilen des Lebens gehörten, verweigert, dass man ihnen alles nimmt, was ihrer Auffassung vom Lebensinhalt entspricht und die Stirn hat, ihnen selbst die Schuld an diesen Bedingungen zu geben. …
    Unsere Kinder sind nun einmal nicht in der DDR aufgewachsen, sie können hier nicht leben aus ganz objektiven Gründen, die wir wiederholt dargelegt haben. Wenn man das nicht verstehen kann oder will, können wir das sicher nicht ändern, aber die Grundrechte eines Bürgers können auch dann nicht eingeschränkt werden, wenn die Sicherheit eines Landes es

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