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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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interessieren!“
    Ich wusch mich ausgiebig und zog meine Sachen an, dann wurde ich zu einem Lada geführt, der direkt neben der Werkhalle stand. Die beiden Stasi-Männer nahmen mich auf der Rückbank in die Mitte. Sie fuhren mit mir zum Polizeipräsidium an der Keibelstraße, ganz in der Nähe vom Alexanderplatz. In diesem riesigen Gebäude führten sie mich erst einmal in einen fensterlosen Raum, nur ein Tisch und ein Stuhl standen dort. Und dann hieß es warten. Endlos, wie mir schien. Nach einer ganzen Weile wurde ich geholt und in ein Büro, einen Verhörraum, gebracht.
    „Sie wissen, warum Sie hier sind?“
    „Keine Ahnung. Was wollen Sie von mir?“ Was wissen die? Was soll ich bloß machen?
    „Die Fragen stellen wir! Sie wissen doch ganz genau, warum Sie hier sind! Sagen Sie es!“
    „Ich weiß es nicht, was soll das hier?“
    So ging es eine ganze Weile weiter.
    „Sie wurden gesehen. Wir haben Zeugen. Sie brauchen gar nicht zu leugnen. Es gibt hundertprozentige Beweise.“ Jetzt bloß nichts Falsches sagen. Aufpassen. AUFPASSEN!
    Ich musste natürlich ständig daran denken, dass uns die Stasi nun auf die Schliche gekommen war. Nach allem, was bisher vorgefallen war, wäre das eigentlich kein Wunder gewesen. Aber sie sagten gar nichts über meine Eltern. Komisch. Was wird hier gespielt? Was für ein Film läuft denn hier schon wieder ab? Nimmt denn der Horror überhaupt kein Ende?
    Irgendwann wurde der Vernehmer konkreter.
    „Sie sind gesehen worden. Auf dem Balkon in Ihrer Wohnung in der Leipziger Straße. Dort haben Sie Flugblätter verteilt.“ Ich habe Flugblätter verteilt? Wie kommen die denn darauf?
    „Ich habe nie Flugblätter verteilt. Was für Flugblätter denn? Von unserem Balkon?“
    „Sie brauchen gar nicht zu leugnen. Wir haben Zeugen?“ Haben die sich im Stockwerk geirrt?
    Er zeigte mir dann ein „Beweisstück“. Es war ein Zettel, der etwa 10 mal 10 Zentimeter groß war. Auf ihm war ein Hakenkreuz aufgemalt.
    „Wir haben eine ganze Menge solcher Zettel, die Sie von ihrer Wohnung aus auf die Straße geworfen haben.“
    „Das habe ich nicht. Ich würde niemals solche Hakenkreuzschmierereien anfertigen.“
    „Leugnen Sie nicht, Sie sind überführt!“
    Was haben die sich jetzt schon wieder ausgedacht? Ich sollte Flugblätter mit Hakenkreuzen bemalt und vom Balkon geworfen haben? Ja, spinnen die denn? So etwas Absurdes liegt mir so unglaublich fern. Außerdem wäre so eine Tat nicht unbedingt förderlich bei unserem Vorhaben, die DDR illegal zu verlassen. Aber das konnte ich ihnen ja schlecht auf die Nase binden. Haben die mich doch verwechselt? In der angeblich so antifaschistischen DDR habe ich damals tatsächlich hin und wieder Hakenkreuze gesehen. In den Fahrstühlen unseres Hochhauses waren öfter welche in die Wand eingeritzt. Und das in einem Haus mit so „vorbildlichen“, staatsnahen Bewohnern. Aber mir würde niemals einfallen, so einen Schwachsinn zu machen. Und die waren überzeugt davon, dass ich so etwas tue? Da war doch etwas faul.
    „Wir werden Sie heute hierbehalten.“
    Ich machte das erste Mal in meinem Leben Bekanntschaft mit einem Gefängnis. Sie führten mich in eine Zelle; die Wände dunkelgrün, Tisch und Hocker am Boden festgeschraubt, die Pritsche fest mit der Wand verbunden. Darauf lag eine Matratze. Es roch muffig. Ich erhielt noch eine alte Pferdedecke. Es gab kein Fenster. Da war nur ein Blech mit schmalen Schlitzen, dahinter schien Tageslicht zu sein. Da das durch die Schlitze einfallende Licht nicht ausreichte, war noch eine Neonröhre angeschaltet. Ewiges Brummen. Die folgende Nacht habe ich kein Auge zugetan. Was wird aus mir? Wie wird es weitergehen? Was haben sie meinen Eltern gesagt? Wussten sie, wo ich war? Was würden sie denken? Was müssen die sich für Sorgen machen?
    Nach der bis zu jenem Zeitpunkt furchtbarsten Nacht meines Lebens wurde ich morgens wieder zum Vernehmer in dessen Büro gebracht. Dort saß nicht nur der Vernehmer des vorigen Tages, sondern auch, welche Überraschung!, „Willi“.
    „Was hast du bloß für unerfreuliche Sachen gemacht!“
    „Ich habe gar nichts getan!“
    „Es gibt überhaupt keinen Zweifel, was du gemacht hast! Aber du hast ganz großes Glück! Wir werden noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen! Wir bringen dich gleich zu deinen Eltern. Mit ihnen werden wir ein Wörtchen reden müssen. Sie sollten besser auf dich aufpassen!“
    Ich war sprachlos. „Willi“ und „Christian“ fuhren mich danach in

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