Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie
wieder hörte ich Schritte auf dem Flur. Allerdings schauten die Wärter hier nicht ständig durch den Spion. Draußen vor dem Fenster waren Stimmen von anderen Gefangenen zu hören. Offensichtlich konnten sie sich von Fenster zu Fenster unterhalten. Die erste Nacht verlief sehr unruhig: Unbekannte Geräusche, die Stimmen durch das Fenster und die Ungewissheit, wie hier alles werden würde, ließen mich nur schlecht einschlafen.
Morgens hörte ich in kurzen Abständen typische Schließgeräusche der Türen. Etwas später wurde der kleine Haken, der die Tür noch zuhielt, betätigt und ein Wachmann schaute kurz hinein, sagte „Guten Morgen!“ und schloss die Tür wieder. Ich war so verdutzt, dass ich nichts weiter sagen konnte als ebenfalls „Guten Morgen!“. Dann fiel mir ein, dass ich ja laut Hausordnung „Meldung machen“ sollte. Das wurde wohl hier nicht so genau genommen. Kurz nach der Zählung erschien ein Häftling, der weiße Kleidung trug, die ebenfalls mit gelben Streifen versehen war. Er stellte sich als „Sani-Horst“ vor, brachte aber keine Medikamente, sondern das Frühstück. Dabei schaute er sich um und stellte fest:
„Du brauchst noch ein paar Sachen als Grundausstattung. Ich werde mal sehen, was ich dir besorgen kann.“
Als Sanitäter konnte er sich relativ frei im gesamten Haus bewegen. Aber auch er kam nicht überall hin. Nicht zu den Frauen und nicht in den Isolationstrakt, wo sich immer nur wenige Gefangene befanden, die von den anderen abgesondert werden sollten. Dort befand sich auch mein Vater, wie ich später erfahren sollte.
Wenig später kam Sani-Horst wieder, um die Reste vom Frühstück mitzunehmen. Bei der Gelegenheit brachte er mir eine kleine Kaffekanne, eine Tasse mit Untertasse, einen Metallbecher sowie einen kleinen Tauchsieder mit. Er sagte: „Diese Sachen wirst du hier gut gebrauchen können, sie haben bis vor kurzem einem anderen Häftling gehört, der entlassen worden ist.“ Ein Mensch, der ganz normal mit mir redet, der mir etwas Kostbares schenkt! Im Knast, in dieser grauen Einöde aus Tagen, Wänden und Gedanken wird man empfänglich für jedes Bisschen Zuwendung. Endlich Geschirr aus Porzellan! Anscheinend konnte man hier auch selbst Kaffee oder Tee kochen. Das sah alles schon ein bisschen freundlicher aus als in Hohenschönhausen. Man wird ja anspruchsloser.
Am Vormittag wurde ich dann auch in den „Freigang“ geführt. Ich folgte dem Wachmann. Er ging die Treppe bis zum Erdgeschoss hinunter und in einen großen Hof hinaus. Wir überquerten ihn, und der Wärter wies mich in ein etwas kleineres ummauertes dreieckiges Gehege ein, wo ich etwa eine Stunde lang meine Kreise ziehen konnte. Immerhin war im Gegensatz zu Hohenschönhausen ein klein wenig Grün zu sehen, außerdem war er fast so groß wie alle Freihöfe Hohenschönhausens zusammen genommen. An der Spitze des Freihofs saß ein gelangweilter Wachposten in einem kleinen verglasten Turm zur Bewachung. Es war ganz schön kühl für meine etwas dünne Bekleidung, aber ich war froh, mal wieder frische Luft zu bekommen und weiter zu laufen als von der Zellentür bis zum Fenster.
Nach der Freistunde bekam ich schon wieder „Besuch“ von einem Häftling. Knut brachte einen Aktenordner mit. Er betreute die Anstalts-Bibliothek. Auf Karteikarten konnte ich Bücher bestellen. Bei der Gelegenheit erzählte er mir noch so einiges über Bautzen II. Es sei ein besonders geheimes Gefängnis mit Fällen, die nicht an die Öffentlichkeit dringen sollten. Nur im Heizhaus gäbe es „normale“ Kriminelle, die sie aus anderen Haftanstalten hergeholt hatten. In den anderen „Kommandos“, so wurden die Gefangenen-Gruppen, die zusammen arbeiteten, genannt, waren fast nur Politische, Wirtschaftskriminelle und ein paar ehemalige hohe Bonzen, die abtrünnig oder straffällig geworden waren. Kaum welche mit einfach kriminellen Delikten. Er selbst sei hier wegen Totschlags, er hätte seinen versoffenen Vater im Streit mit einer abgebrochenen Flasche erschlagen. Nette Gesellschaft. Warum war er nun gerade hier und nicht in einer anderen Haftanstalt?
„Ich war bei der Armee, im Wach-Regiment Dzierżyński! Da nehmen sie nicht jeden.“
„Dann bist du wohl kein Staatsfeind?“
„Nein, trotz allem stehe ich fest zum Sozialismus. Ich will auch nicht nach meiner Entlassung in die BRD wie die meisten, sondern in die DDR.“
Oh oh, Vorsicht ist geboten! Ein Funktionsgefangener mit dem Hintergrund – wenn das mal kein
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