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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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„Der schwarze Kanal“ von und mit Karl-Eduard von Schnitzler. Leider haben sie das nicht erlaubt. Jeden Montag war nach dem alten deutschen Spielfilm Schluss.
    Am Wochenende konnte man sich auf Antrag am Nachmittag in eine andere Zelle „umschließen“ lassen, um andere Gefangene zu besuchen. Einfach offene Zellen, wie in anderen Gefängnissen üblich, gab es in Bautzen II grundsätzlich nicht. Außerdem befand sich ganz oben im Haus, im fünften Stockwerk, ein sogenannter Kulturraum, wo sich mehrere Gefangene treffen konnten, Karten spielen, klönen und so weiter.
    So vergingen Wochen und Monate, selbst im Knast stellt sich eine gewisse Routine ein. Wecken, Frühstück, Aufschließen, Arbeiten, Mittag, Hofgang, Abendbrot, Nachtruhe, Wochenende. Ein langer Fluss ohne Abwechslung. Das zweite Mal Weihnachten und Silvester in Haft verging. Wie lange würde das noch dauern? Immer wieder gingen Gerüchte um, es würde bald eine Amnestie geben. Wer weiß, wer die in die Welt gesetzt hatte. Es war aber auch bekannt, dass Gefangene aus Bautzen II höchst selten zum Freikauf in den Westen freigegeben wurden. Nur die hochkarätigen Spione konnten sich Hoffnungen machen, über die Glienicker Brücke zwischen Potsdam und Westberlin gegen Spione der gegnerischen Seite ausgetauscht zu werden. Immer wieder sagten Mitgefangene zu mir, ich müsste doch eigentlich der erste sein, den sie ziehen lassen. Und ich fühlte mich ja auch immer noch als Bundesbürger, für den die Bundesregierung eine besondere Verantwortung trug. Aber nichts geschah. Ich war ja weder für den Osten noch für den Westen wichtig. Was sollten sie schon mit einem verschreckten 20-Jährigen, der keine Geheimnisse zu berichten hatte, sondern nur nach Hause wollte?
    Dieses Gefängnis war schon dadurch ein besonderes, weil es sehr viele spektakuläre Fallgeschichten zu hören gab – mit einem entsprechend sehr hohen Anteil Langstrafler. Ich mit meinen drei Jahren war ja beinahe eine Ausnahme. Nur zwei, drei andere ebenso junge Gefangene hatten noch weniger als ich. Es ging – für Knastverhältnisse – recht geruhsam bei uns zu. Körperliche Gewalt spielte kaum eine Rolle – weder von den Wärtern noch unter uns Häftlingen. Die meisten wollten ihre Zeit in Ruhe rumbringen, die Revierkämpfe wurden – wenn überhaupt – dann eher mündlich ausgetragen. Wir hatten allerdings auch relativ viel Platz, uns aus dem Weg zu gehen – Bautzen II war nicht annähernd voll belegt.
    Ab Frühjahr 1983 änderte sich das plötzlich, innerhalb kurzer Zeit wurde es immer voller in diesem Gefängnis. Ein großer Transport kam aus dem Strafvollzug Cottbus. Mit ihm kamen Gefangene, die eigentlich nicht nach Bautzen II passten. Zwar waren sie auch alles Politische, aber eher kleine Fische. Viele von ihnen waren auch sehr zweifelhafte Figuren, mit Tätowierungen am ganzen Körper – Kriminelle mit fünf, sechs Vorstrafen, die ganz plötzlich „politisch“ wurden, in den Westen wollten, um dort mit weißer Weste neu anzufangen oder weiterzumachen. Ihre Chance, freigekauft zu werden, war sehr groß: Die DDR wurde so lästige Kriminelle los. Es war wohl auch eine kleine Täuschungsaktion, um dem Westen auch mal Gefangene aus Bautzen II zu liefern, vielleicht auch, um noch mehr Geld an dem Menschenhandel zu verdienen.
    Im Frühjahr 1984 wurden plötzlich schubweise immer wieder größere Gruppen abgeholt. Euphorie machte sich unter uns Gefangenen breit. „Transport! Bald gehen wir alle auf Transport! Jetzt ist es soweit!“, ertönte es überall. Aber keiner der „typischen“ Bautzen II-Häftlinge war dabei. Mich beschlich das Gefühl, ich würde nie dabei sein. Ich wurde immer verzweifelter. Was haben die noch mit mir vor ? Gerade unter den „normalen“ Leuten, die neu dazugekommen waren, waren einige, mit denen ich mich ein wenig angefreundet hatte. Nun sah ich sie reihenweise einer nach dem anderen gehen. Und ich?
    Im Frühjahr 1984 erlebte ich die schlimmste Nacht meines Lebens. Einer meiner Zellengenossen, Hans, drehte durch. Hans war etwas einfach strukturiert, aber eigentlich ein lieber Kerl, zumindest wenn er klar im Kopf war. Auf dem Oberarm trug er eine Tätowierung: ein Scharfrichter mit Haube und Beil. Sein Gesicht war übersät mit pockigen Narben. Relativ klein war er, aber bullig. Mit einer Kraft, wie sie mir zuvor noch nie begegnet war. Auf dem Freihof spielte ich mit ihm sehr häufig Tischtennis.
    Hans machte auf den ersten Blick einen harmlosen und etwas

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