Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie
diesem Staat aushalten können, also müssten sie mich wieder einsperren. Diesmal würde ich aber abgebrühter sein, das schwor ich mir.
Am 11. September 1984, sehr früh am Morgen, wurde ich geweckt. Es war schon fast zu spät, um den Zug nach Berlin, den sie mir ausgesucht hatten, zu erreichen. Meine gesamten persönlichen Sachen erhielt ich zurück. Die Jeans, das schwarze Hemd, die braune Lederjacke. Die Bekleidung, die ich bei der Verhaftung drei Jahre zuvor getragen hatte.
Auch mein Geld aus der Rücklage bekam ich. Fast 2.200 DDR-Mark hatten sich angesammelt. Wenigstens brauchte ich mir in der ersten Zeit keine Sorgen um meine Finanzen zu machen. Ich ärgerte mich, dass sie meinen 20 DM-Schein in sogenannte „Forum-Schecks“ eingetauscht hatten – diese Schweine! Immerhin, meinen West-Glückspfennig im Portemonnaie hatten sie mir gelassen. Außerdem erhielt ich einen Hausschlüssel zu unserer Wohnung in der Leipziger Straße in Berlin. Wenigstens hätte ich erst mal ein Dach über dem Kopf. Aber in welchem Zustand würde ich die Wohnung vorfinden? Nach drei Jahren. Und nach wie vielen Haussuchungen?
Um 6.05 Uhr öffnete sich das Gefängnistor und ich stand auf der Straße mitten in einem Villenviertel in Bautzen.
Zwischenzeit
Da stand ich nun und hatte gar keine Zeit, mich umzusehen. Der Wärter hatte mir kurz beschrieben, wie ich zum Bahnhof gelange. Aus dem Tor raus, links bis zur nächsten Ecke, wieder links und immer geradeaus. Nach etwa 15 Minuten erreichte ich den Bahnhof, gerade noch rechtzeitig. Eine Fahrkarte hatte ich immerhin schon im Knast bekommen. Die Fahrt nach Ostberlin kam mir ewig vor. Meine Gedanken schwirrten herum. Wie soll es bloß weitergehen? Wie wird die Wohnung aussehen? Was wird der Anwalt mitzuteilen haben?
Umsteigen in Dresden. Am frühen Nachmittag kam ich in Berlin an. Leider hatte ich keinen Briefkasten-Schlüssel. War nicht so schlimm, ich wollte sowieso zwei Tage später zu meinem Onkel nach Erfurt fahren, der hatte noch einen kompletten Schlüsselbund. Die Wohnung sah übel aus. Unsere Verwandten waren zwar hin und wieder da gewesen, um nach dem Rechten zu schauen, trotzdem lag der Staub fingerdick. Die Tapeten waren vergilbt, im Wohnzimmer war sogar ein Riss in der Wand, durch den man nach draußen sehen konnte. Der Wind pfiff durch. In diesem Hochhaus hatte man schon immer den Wind heulen gehört. Jetzt, wo ich dort allein war, erschien es mir viel lauter und gruseliger. Die Welt draußen war so feindselig wie vor der Haft. Auch unsere Wohnung mit unserer West-Einrichtung bot für mich keinen Schutz mehr. Die Stasi hatte alle unsere Sachen durchwühlt, alles angefasst, jedes Stück, eine ekelhafte Vorstellung. Ich fand die Sachen, die ich suchte, kaum. Die Wohnung war viermal durchsucht worden, damals hat die Stasi wohl alle Sachen in der ganzen Wohnung auf den Boden verstreut. Mein Onkel hatte alles irgendwie wieder in die Schränke gestopft, aber kaum etwas war an seinem angestammten Platz. Einige elektronische Geräte wie Radio und Fernseher hatte mein Onkel mit nach Erfurt genommen. Immerhin hatte er mir meinen kleinen tragbaren Schwarz-Weiß-Fernseher dagelassen, der tatsächlich noch einigermaßen funktionierte. So konnte ich nach drei Jahren endlich wieder mal die „Tagesschau“ sehen.
Es gab viel zu erledigen. Zuerst musste ich den verhassten blauen DDR-Ausweis vom Polizeirevier abholen. In der Friedrichstraße, direkt gegenüber dem neu gebauten Friedrichstadtpalast. Für den zweiten wichtigen Termin musste ich zum Rat des Stadtbezirks Berlin-Mitte, wo mich eine Mitarbeiterin empfing, die meine Wiedereingliederung mit mir besprechen wollte.
„Ich habe Ihre berufliche Eingliederung vorbereitet. Für Sie ist eine Stelle bei der BVB vorgesehen. Dort können Sie Ihre unterbrochene Ausbildung zum Kfz-Mechaniker zu Ende bringen.“
BVB hieß Berliner Verkehrsbetriebe, ich sollte also an diesen Tatra-Bussen arbeiten, keine schöne Vorstellung. Ich sagte ihr, dass ich aber nur ein Ziel hätte: Nach Hause in den Westen. Die Antwort empfand ich als kleine versteckte Drohung.
„Wenn Sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen bei dem Betrieb unter der angegebenen Adresse melden, werden Sie Schwierigkeiten bekommen.“
Ich wusste noch nicht genau, was ich machen sollte, sagte erst einmal nichts weiter und ging. Natürlich sollte ich spätestens zwei Wochen später nochmal hinkommen.
Die Behördentermine waren erledigt, nun brauchte ich Lebensmittel. Die
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