Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
heute vor den Räubern gerettet habt. Ich heiße Marcelline Martin und bin Witwe eines Gerichtsschreibers vom Pariser Gerichtshof.«
»Madame«, sagte ich, wußte ich doch, wie es eine Bürgerin freut, wenn man sie »Madame« tituliert, »es tut mir sehr leid, daß man Euch so schlecht untergebracht hat.«
»Ha, Monsieur«, sagte sie, »besten Dank für Euer Mitgefühl. Die Wirtin hat mir zwar ein Bett angewiesen, das ich aber mit zwei so dicken, so übelriechenden und schnarchenden Pilgerinnen teilen sollte, daß ich mich lieber hier niederließ.«
»Ha, Madame«, sagte ich, »wie dürfte ich zulassen, daß ein zartes Geschöpf auf hartem Fußboden schläft. Bitte, nehmt meine Kammer und mein Lager. Ich kann bei meinem Junker schlafen.«
Wie Sie sich denken können, schöne Leserin, gab es hierauf einen Strauß von wechselseitigen Höflichkeiten, den ich als Sieger bestand, worauf ich die kleine Witwe in meine Kammer führte.
»Ach, Monsieur! Ein Badezuber, und voll schönen warmen Wassers!« rief sie, indem sie eine Hand hineintauchte. »Nein, Monsieur, das ist zuviel! Nehmt wenigstens Euer Bad, bevor Ihr geht. Ihr braucht nur diesen Vorhang hier zwischen Zuber und Bett zu ziehen.«
»Madame«, sagte ich, »ich möchte Euer Schamgefühl nicht verletzen.«
»Aber bitte, Monsieur!« sagte sie, »wenn Ihr noch länger wartet, brennt Eure Kerze ganz herunter, und dann habt Ihr kein Licht mehr zum Baden.«
Was soll ich weiter sagen, ich ergab mich, entkleidete mich hinter dem Vorhang und stieg in das warme Bad, ein himmlisches Labsal nach dem Staub und der Müdigkeit des langen Reisetages.
»Monsieur«, fragte die kleine Witwe hinterm Vorhang, »fühlt Ihr Euch gut?«
»Wie im Paradies, Madame«, sagte ich.
»Nur daß im Paradies«, sagte sie seufzend, »Adam nicht allein war.«
»Ha, Madame«, sagte ich und schluckte, »das ist wahr!«
»Monsieur«, sagte sie, »ich möchte nicht, daß Ihr mich falsch einschätzt. Ich bin eine unbescholtene Person und halte auf meine Tugend. Deshalb wäre es mir eine unendliche Kränkung, wenn jemand davon erführe, daß Ihr in der Kammer, wo ich schlief, in Eurer Blöße gebadet habt.«
»Seid unbesorgt, Madame«, sagte ich mit etwas zitternder Stimme, »Freundlichkeiten von Damen plaudere ich niemals aus.«
»Monsieur«, begann sie wieder nach einem Schweigen, »wißt Ihr, daß ich Euch beneide? Ich hatte zum Waschen nur eine Schüssel mit einem Fingerhut Wasser. Ich kann Euer wohliges Plätschern gar nicht mit anhören.«
»Nun, Madame«, sagte ich, »dann kommt in den Zuber und plätschert mit.«
»Moussu«, sagte Miroul, als wir am nächsten Morgen Seite an Seite ritten, »ich bitte um Entschuldigung, daß ich heute früh in Eure Kammer einbrach, um Euch zu wecken: Wie konnte ich ahnen, daß Ihr Eurer Dame, drei Wochen nachdem Ihr sie verlassen, untreu würdet.«
»Monsieur de La Surie«, sagte ich kühl, »die Reue brennt mich genug, ohne daß Ihr mich auch noch sticheln müßtet. Außerdem, bist du solch ein Tugendbold? Weißt du nicht, wie eine Gelegenheit einem das Herz schwach machen kann?«
»Doch«, versetzte er, »besonders, wenn besagter Gelegenheit nachgeholfen wurde.«
»Wieso nachgeholfen?« fragte ich.
Und leise erzählte ich, wie die Prämissen waren, da er die Folgerung ja mit eigenen Augen sah.
»Moussu«, sagte Miroul, »wie Ihr die Dinge darstellt, scheint Ihr diesmal aus Naivität gesündigt zu haben. Denn es ist doch sonnenklar, daß die Person, als sie die Mägde Wasser in Euer schönes Zimmer tragen sah, sich absichtlich in Euren Weg gelegt hat, um Euch zu rühren und Kammer, Zuber und Bett mit Euch zu teilen. Wer den Käfig will, der will den Vogel.«
Ob Miroul nun recht hatte oder nicht, mir jedenfalls verliefendie kommenden acht Nächte sehr angenehm, die wir noch in mal schlechten, mal besseren Herbergen verbrachten, bis wir Rom erreichten.
Im Gegensatz zu anderen Städten des Landes, wo wir Einlaß begehrt hatten, war der päpstliche Zoll an den römischen Toren von eherner Strenge: Unsere Gepäckstücke wurden bis in den letzten Winkel durchwühlt, unsere Waffen exakt gezählt und unsere Bücher, meine und Fogacers, zur Visitation eingezogen. Was zwei volle Tage dauerte, dann erklärte ein dümmlicher Pater, der aber auf zwei Meilen nach Inquisition roch, er müsse Fogacers Stundenbuch beschlagnahmen, denn es stamme von Notre-Dame zu Paris und nicht von Sankt Peter zu Rom und sei folglich verdächtig. Noch mehr aber staunte
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