Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
schönsten gilt, gab es derlei nicht.
Am Tag nachdem wir uns in dem Kardinalspalast eingerichtet hatten, schickte ich Luc zum Herrn Abbé d’Ossat und ließ fragen, ob er mich empfangen wolle, was er bejahte, doch sollte ich erst auf den Abend kommen, mit kleinem Gefolge, ganz unauffällig. Was ich alles strikt beachtete.
Herr d’Ossat bewohnte in der Altstadt ein bescheidenes, aber sehr behagliches Haus; in dem Zimmerchen, wo er mich empfing, brannte ein helles Feuer, und die Wärme wurde erhöht durch die purpurne Samtbespannung der Wände: Ich wette, diese Farbe bestärkte den heimlichen Ehrgeiz des Abbé. Mir erschien er winzig in seinem mächtigen Lehnsessel, doch dieser Anblick dauerte nicht, denn kaum daß er mich gewahrte, erhob er sich behende und wies mir nach respektvoller Begrüßung seinen Lehnsessel, während er sich mit einem Schemel begnügen wollte, der ebenfalls mit purpurnem Samt bezogen war. Ich aber wollte seinen Sitz nicht annehmen, und so ergingen wir uns denn in Höflichkeiten, Respektsbezeigungen und christlicher Demut, bis der Abbé, dem es nicht an Mutterwitz gebrach, eine kleine Glocke läutete und seinen Leuten befahl, einen zweiten Lehnsessel herbeizubringen, in welchem ich nun Platz nahm und ihm das Sendschreiben der Königin Louise, das ich aus meinem Wams zog, überreichte.
Er las es, indem er mir übers Papier hinweg bisweilen einen scharfen Blick zuwarf, und ich betrachtete in Muße seine leibliche Hülle, die in der Tat unglaublich klein und zierlich war,dennoch aber mit einer erstaunlichen Energie geladen, so als hätten seine Lebensgeister, weil sie bei der Kürze der Gliedmaßen nicht viel Raum, sich zu regen und zu entfalten, fanden, in dem wenigen vorhandenen sich desto stärker geballt. Durch diese hohe Lebhaftigkeit wirkte der Abbé d’Ossat ein wenig wie ein Vogel, ein Eindruck, der durch die kleine Adlernase und durch die flinken, gleichsam hüpfenden Bewegungen nicht allein des Körpers, der Füße und der Hände, sondern auch des Kopfes noch verstärkt wurde, der beständig hin und her ging, als hieße es immer auf der Hut zu sein und beim mindesten Anzeichen von Gefahr auf und davon zu fliegen.
Die hohe Stirn war von spärlichem, flaumigem Blondhaar umkränzt, das sanft ins Weiße spielte, die blauen Äuglein blickten durchdringend, und auf der ganzen liebenswerten Physiognomie samt besagter Adlernase und einem weibischen Erdbeermündchen lag jener Schimmer von wohliger Selbstgefälligkeit und Zufriedenheit mit sich, wie man sie im geistlichen Stand oft beobachtet.
Als er den Brief der Königin Louise gelesen hatte, blickte er mich mit etwas ratloser Miene an und gab mir ohne Worte zu verstehen, daß er nicht begreife, wieso Königin Louise mir all die Kosten und Mühsal einer langen Reise über die Alpen zugemutet hatte, nur um ihm zu vermelden, was er schon wußte. Und so erleuchtete ich seine Laterne denn mit knappen Worten über den wahren Gegenstand meiner Mission.
»Ha, Monsieur le Marquis«, sagte er, »daß Seine Majestät in Unruhe ist und fürchtet, die Verbannung der Jesuiten habe die Sache seiner Absolution in Gefahr gebracht, verstehe ich gut. Und ich muß bekennen«, fuhr er fort, indem er die Ellbogen auf die Sessellehnen stützte und seine zehn Finger aneinanderlegte, »daß diese Befürchtung auch mich bewegte, als Seine Heiligkeit mich nach jenem unglücklichen Ereignis zur Audienz empfing.«
»Ich hörte«, sagte ich, »Seine Heiligkeit habe geweint.«
»Herr Marquis«, sagte d’Ossat mit feinem Lächeln, »man muß sich klarmachen, daß da, wo ein König zürnt und donnert, ein Papst, dem so unchristliche Bekundungen nicht erlaubt sind, sich nur betrüben, seufzen und weinen kann. Das erfordert sein Stand. Und was Clemens VIII. angeht, entspricht es meines Erachtens auch seinem Wesen.«
Diese Analyse entzückte mich, und ab jetzt sah ich d’Ossat mit anderen Augen an, was er sogleich bemerkte, denn er schenkte mir ein zweites Lächeln, nachdem er ein erstes sich selbst gespendet hatte, um sich zu seinem Esprit zu gratulieren.
Ich lächelte also zurück, und da wir uns derweise nähergekommen waren, erzählte er mit augenscheinlichem Vergnügen, meines Interesses gewiß.
»›Ich bin‹, sagte Seine Heiligkeit, ›über das Geschehene sehr betrübt …‹ Beachtet, Herr Marquis, daß er nicht sagte, wem was geschehen ist, der Name des Ketzers wurde nicht einmal ausgesprochen. ›Aber‹, fuhr er fort, ›ich bin auch sehr
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