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Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Schluß übergab ich ihm den Brief, den Madame de Guise mir für ihren Sohn mitgegeben, denn sie hatte ihn weder verschlossen noch gesiegelt, so daß ich mir ihres Wunsches gewiß sein durfte, der König möge ein Auge drauf werfen, bevor er über meine Mission entschied.
    »Graubart«, sagte der König lächelnd, sowie er ihn überflogen hatte, »es ist ein Jammer, daß unsere Fürsten ihre Töchter nicht besser erziehen: Ich kann dieses Gekrakel kaum entziffern, so strotzt es von Fehlern, und so ungelenk ist die Schrift. Aber dumm ist meine liebe Cousine nicht, und von den Geschäften versteht sie mehr als ihr Sohn.«
    »Sire«, sagte ich erstaunt, »beliebt mir zu erklären, was Euch zu diesem Urteil führt.«
    »Zuerst die vortreffliche Wahl, die sie mit ihrem Gesandten getroffen hat. Sodann die Folgerungen, die sie aus der Tatsache zieht, daß die Einwohner von Troyes in der Champagne ihren Sohn und die Ligisten zum Tor hinausgejagt und sich mir ergeben haben.«
    »Aber Sire, davon hat sie mir kein Wort gesagt! Vielleicht wußte sie es da noch nicht.«
    »Sie wußte es. Ich hab es ihr durch Vic melden lassen.«
    Es verschlug mir die Sprache, daß die kleine Herzogin mich hereingelegt hatte, und ich schaute stumm.
    »Laß dich hängen, Graubart!« sagte der König, aus vollem Hals lachend. »Seit heute weißt du, daß auch die Naivsten ihre kleinen Listen haben.«
    »Sire«, sagte ich, wieder gefaßt, »vielleicht kann man es Madame de Guise nicht ganz verübeln, daß sie mir die Übergabe von Troyes verschwiegen hat, denn wahrscheinlich dachte sie, wenn ich davon erführe, würde sie ihre Sache schmälern und mithin meine Lust, ihr zu dienen. Aber, Sire, wenn Ihr meint,daß die Mission, die sie mir auftrug, für Euch nicht mehr so wichtig ist – denn nur, um Euch nützlich zu sein, nahm ich sie unter dem Vorbehalt Eurer Zustimmung an –, dann lasse ich sie sofort fahren.«
    »Tu das nicht, Graubart«, sagte der König ernst. »Wer weiß im Krieg je, ob er siegt? Und selbst wenn ich Mayenne und Mansfeld schlage und Laon nehme, und wenn auch die anderen picardischen Städte sich mir ergeben, ist es doch längst nicht gesagt, daß Reims es ebenso macht, vor allem, solange Hauptmann Saint-Paul dort stärker ist als der Herzog von Guise. Geh also, nimm Rücksprache mit dem Herzog und bewege ihn zum Übertritt, denn auch wenn er mir Reims nicht mitbringt, wird er selbst von unschätzbarer Bedeutung sein, in Frankreich sowohl wie in Rom, wo der Papst sich reichlich Zeit läßt, meine Exkommunizierung aufzuheben und meine Bekehrung anzuerkennen.«
    »Sire«, sagte ich, ganz begeistert, daß Seine Majestät meiner Mission so großen Wert beimaß, »morgen früh breche ich auf.«
    »Übermorgen«, sagte der König. »Zuerst mußt du deinen Schwager Quéribus bitten, daß er dich begleitet, er ist nämlich ein Verwandter von Guise, außerdem hat er eine schöne, starke Eskorte. Und dann läßt du dir vom Herzog von Nevers erzählen, wie es steht mit diesem Hauptmann Saint-Paul. Denn liebt er ihn auch nicht gerade, so kennt er ihn um so besser.«

ZWEITES KAPITEL
     
    Obwohl sein Name in diesen Memoiren schon gefallen ist, tritt Ludwig von Gonzaga, Herzog von Nevers, hier zum erstenmal leibhaftig auf. Natürlich war ich ihm oft am Hof begegnet, wo er zur Zeit Heinrichs III. eine ebenso geschätzte wie ungewöhnliche Erscheinung war, strenger Katholik, doch nicht ligistisch, den Hugenotten feindlich gesinnt, aber ohne sie schlachten zu wollen, und dem Papst treu ergeben, ohne daß er indes bereit war, ihm die Rechte der gallikanischen Kirche zu opfern.
    Von seinem Vater her, dem Herzog von Mantua, Italiener, wurde er Herzog von Nevers durch seine Vermählung mit Henriette von Kleve, welche besagtes Herzogtum geerbt hatte. Seitdem lebte er am französischen Hof, in der Entourage Katharinas von Medici, und betrachtete sich schließlich als Franzose. Loyal diente er Heinrich III. und Heinrich IV., unserem Henri, seit seiner Bekehrung und hatte sich im November vergangenen Jahres beim Papst um die Anerkennung ebendieser Bekehrung bemüht – doch vergebens, was ihn ziemlich gegrätzt hatte. Doch hätte es dieser Vergrätzung kaum bedurft, weil er schon an sich von essigsaurem und schrecklich pedantischem Wesen war, sehr eingenommen von seinem hohen Rang, streitsüchtig auf Teufel komm raus, kurz, ein Mann der Zwistigkeiten, Zänkereien und Prozesse. Oft dachte ich, daß bei ihm der Charakter von innen her Gesicht und Körper

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