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Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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während Miroul und ich, unsere drei herzoglichen Soldaten im Gefolge, auf leisen, nahezu tastenden Sohlen eine Runde durch die Abteikirche unternahmen, die mich düster und trübselig anmutete, denn der eben anbrechende Tag war grau und durch die Fenster zusätzlich verdunkelt. So kam es, daß wir im nördlichen Querschiff beinahe über drei oder vier Gestalten gestolpert wären, die am Boden hockten und die Fliesen mit Wasser und Bürsten wuschen. Ich schlug Feuer und erkannte, daß es Laienbrüder waren. Verwundert über ihre Tätigkeit, in so kleiner Zahl vor allem (denn um den Boden der Abtei zu säubern, hätte es ihrer hundert bedurft), fragte ich nach dem Grund ihrer seltsamen Arbeit; aber sie antworteten nicht, ja, sie hoben nicht einmal den Kopf.
    »Hauptmann«, sagte plötzlich eine Stimme hinter mir, »wem dient Ihr, und was wollt Ihr hier?«
    Ich wandte mich um und sah, wie hinter einem Pfeiler hervor ein Mönch von hoher, majestätischer Statur, den mageren Leib von der Kutte umflattert, auf mich zukam, dessen Auftauchen mich stark verwirrte. Sein Gesicht konnte ich nicht erkennen, sowohl wegen der Düsternis wie auch wegen der Kapuze, die sein Haupt bedeckte.
    »Ehrwürdiger Vater«, sagte ich mit tiefer Verneigung, »ich bin ein Hauptmann des Herrn Herzogs von Guise, und weil ich hörte, es habe in dieser Kirche heute früh ein Ärgernis gegeben, bin ich hier, mich danach zu erkundigen.«
    »Ach, mein Sohn!« sagte der Mönch mit leiser, tiefer Stimme, »es ist viel schlimmer. In dieser ehrwürdigen Kirche, der ehrwürdigstenFrankreichs sicherlich, wurde hier doch einst Chlodwig vom heiligen Rémi getauft, hat sich im Morgengrauen eine schreckliche und gotteslästerliche Bluttat ereignet. Herr Bahuet, Sekretär des Barons de La Tour und wie sein Herr ein sehr guter Katholik und getreuer Verteidiger der Heiligen Liga, wurde ermordet. Seine Diener haben den Leichnam soeben fortgetragen, und die Laienbrüder waschen das vergossene Blut auf, damit es sich nicht in den Steinboden frißt.«
    »Ha, ehrwürdigster Vater«, sagte ich, »welch traurige Nachricht! Und weiß man, wer die Tat vollbracht hat?«
    »Laut seinen Dienern war es ein Verbrecher, dem Herr Bahuet aus christlicher Nächstenliebe Almosen zu geben pflegte. Mein Sohn, darf ich Euch um ein Gebet für unseren hingegangenen Bruder bitten?«
    »Mein sehr ehrwürdiger Vater«, sagte ich (wohl wissend, was das heißen sollte), »ich werde es von Herzen gern tun, und beliebt, für Euer Gebet diesen kleinen Obolus anzunehmen.«
    »Mein Sohn«, sagte der Mönch, indem er die Hände rasch aus den tiefen Ärmeln zog und mir seine skeletthaften Finger hinstreckte, die sich beim Berühren kalt anfühlten wie Eis, »im nördlichen Querschiff findet Ihr rechter Hand einen gemarterten Christus. Wenn Ihr vor Besagtem für das Seelenheil des Hingeschiedenen drei
Vaterunser
sprecht, erwirkt Ihr Euch Ablaß für dreihundert Tage. Nicht alle wissen das, darum sage ich es sehr guten Katholiken. Was mich angeht, so macht es mir Euer Obolus zur Pflicht, meine Messe heute für die Seelenruhe des unglücklichen Bahuet zu lesen. Mein Sohn, der Himmel segne Euch!«
    Worauf er den knieenden Laienbrüdern in barschem Ton befahl, nicht zu lange bei der Arbeit zu säumen, und dann so schnell entschwand, als hätte ihn die Düsternis der Abtei verschluckt.
    »Beim Ochsenhorn!« sagte Miroul, »kein Gesicht, keine Hände – fast hätte ich ihn für ein Gespenst gehalten, hätte er nicht Euer Geld eingesteckt. Moussu, lesen Mönche denn die Messe?«
    »Ja, wenn hier die Bräuche der Cluniazenser gelten und sie die Weihe haben.«
    »Moussu, wohin wollt Ihr?«
    »Ich will mir diesen Christus ansehen.«
    »Moussu«, sagte Miroul vorwurfsvoll, »Ihr wollt doch nicht vor einem Götzenbild beten?«
    »Durchaus nicht.«
    Ich fand die Statue unter einem Rundbogen auf einem Sockel und schlug Feuer, um sie zu betrachten. Ich fand den Christus sehr ergreifend dargestellt, wie er es wahrscheinlich in seinen letzten Stunden war, so mager und unglücklich und schon im Widerschein des nahen Todes.
    »Und was sagst du, Miroul?«
    »Mit seinem ausgemergelten Körper und seinem melancholischen Gesicht erinnert er mich an den atheistischen Abbé Cabassus, wie er den Weg zum Scheiterhaufen ging …«
    Und jäh stieg diese Erinnerung aus tiefem Vergessen auf und schnitt mir ins Herz: Die Hohenpriester hatten Jesus zum Tod verurteilt, weil sie nicht an seine Göttlichkeit glaubten. Und weil auch

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