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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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Türen aufgingen, stellte sie zu ihrem Unmut fest, daß der Wagen schon zum Platzen voll war. Gesichter und Hände drängten sich gegen die Scheiben. Keiner schien den Mut zu haben, um Hilfe zu rufen.
    Sie wußte nicht mehr, was alle diese Leute täglich dazu trieb, sich zu über fünfhundert freiwillig (und sogar zahlend) in eine heiße, wenige Kubikmeter große Blechbüchse zu zwängen.
    Kein Tier wäre so verrückt, sich aus freien Stücken einer solchen Situation auszuliefern!
    Zu allem Übel sah sich Laetitia dem sauren Atem einer Alten in Lumpen ausgesetzt, den Düften des Erbrochenen eines kleinen Jungen, den eine Frau, die nach billigem Parfüm stank, auf den Armen hielt, einem Maurer, der nach Schweiß muffelte. Neben ihr befanden sich auch ein sehr schicker Herr, der ihr den Hintern zu streicheln versuchte, ein Kontrolleur, der ihren Fahrschein verlangte, ein Arbeitsloser, der um Kleingeld oder Essensbons bettelte, ein Gitarrist, der sich trotz des Lärms die Kehle aus dem Leib schrie.
    Fünfundvierzig Gören einer Vorschulklasse nutzten die allgemeine Unachtsamkeit aus, um mit den Spitzen ihrer Kugelschreiber das Kunstleder ihrer Sitze zu durchbohren, eine Schwadron Soldaten brüllte: »Null! Entlassen!« Der Atem Hunderter von Menschen beschlug die Scheiben.
    Laetitia Wells atmete die verpestete Luft langsam ein, biß die Zähne aufeinander und ertrug geduldig ihr Leid. Schließlich hatte sie keinen Grund zum Klagen. Sie hatte von ihrer Wohnung bis zu ihrem Arbeitsplatz nur eine halbe Stunde Fahrt. Manche Leute verbrachten hier zur Stoßzeit drei Stunden täglich!
    Kein Science-fiction-Autor hatte dergleichen je vorhergesehen. Eine Zivilisation, bei der die Leute es hinnahmen, zu Tausenden in eine Blechbüchse gepreßt zu werden!
    Das Gerät setzte sich in Bewegung, glitt funkenstiebend über die Schienen.
    Laetitia Wells schloß die Augen, um Ruhe zu finden und zu vergessen, wo sie war. Ihr Vater hatte sie gelehrt, sich durch die Beherrschung ihrer Atmung die Heiterkeit zu bewahren.
    Wenn man seinen Atem im Griff hatte, mußte man versuchen, die Herzschläge zu bändigen, damit sie sich verlangsamten.
    Lästige Gedanken hinderten sie daran, sich zu konzentrieren.
    Sie dachte an ihre Mutter zurück … nein, vor allem nicht daran denken … nein.
    Sie schlug die Augen wieder auf, beschleunigte den Rhythmus ihres Herzens und ihrer Atmung wieder.
    Es war Platz geworden. Es gab sogar einen freien Sitzplatz.
    Sie stürzte sich darauf und schlief ein. Sie würde sowieso erst an der Endhaltestelle aussteigen. Und je weniger sie sich dessen bewußt war, in der Metro zu sein, desto besser ging es ihr.
     

51. ENZYKLOPÄDIE
     
    ALCHEMIE: Jegliche alchimistische Handlung zielt darauf ab, die Entstehung der Welt nachzuahmen oder zu rekonstruieren.
    Dazu sind sechs Vorgänge nötig. Das Ausglühen. Das Gären.
    Das Ausflocken. Die Verdampfung. Die Schmelze. Die Sublimation. Diese sechs Vorgänge laufen in vier Phasen ab: Der schwarzen, einer Phase des Verkochens. Der Weißen, einer Phase des Verdunstens. Der roten, einer Phase des Vermischens. Und schließlich der Sublimation, die das Goldpulver erbringt. Dieses Pulver gleicht dem des Zauberers Merlin in der Artuslegende. Es genügt, es auf einen Menschen oder eine Sache zu legen, damit dieser oder diese vollkommen wird. Viele Märchen und Mythen verbergen in ihrem Aufbau dieses Rezept. Zum Beispiel Schneewittchen. Schneewittchen ist das Ergebnis einer alchimistischen Zubereitung. Wie erhält man es? Mit den sieben Zwergen (oder Gnomen – darin steckt das Wort gnosis: Wissen). Diese sieben Zwerge stellen sieben Metalle dar: Blei, Zinn, Eisen, Kupfer, Quecksilber, Silber und Gold, die ihrerseits den sieben Gestirnen zugeordnet sind: Saturn, Jupiter, Mars, Venus, Merkur. Mond und Sonne, die wiederum den sieben Hauptcharakterzügen des Menschen zugeordnet werden: mürrisch, einfältig, verträumt usw.
    Edmond Weih Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Bd. 2

52. DER WASSERKRIEG
    Die Blitze streifen noch immer über den gepeinigten Himmel, doch keine Ameise hat die Muße, die majestätischen, goldbraunen Wolken zu bewundern, die von Strahlen aus weißem Licht zerrissen werden. Das Gewitter ist allzu bedrohlich.
    Die Tropfen fallen wie Bomben auf die Stadt, und die Kriegerinnen, die sich draußen zu einer späten Jagd aufgehalten haben, werden von den flüssigen Geschossen getroffen.
    Im Inneren von Bel-o-kan wird die Katastrophe von einem der Experimente,

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