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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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Schwenk von 45ůnd entgeht mit einer Kurve einer zweiten noch dickeren. Gerade noch. Doch das Wasser berührt sein Bein, es spritzt auf seine Antennen.
    Noch ein Lichtblitz. Eine Explosion.
    Den Bruchteil einer Sekunde lang nimmt der Flieger die Außenwelt nicht mehr wahr. Als hätte er geniest. Als er wieder die Kontrolle über die Strecke hat, ist es zu spät. Sie rasen direkt auf eine Säule aus kristallklarem Wasser zu, die in den Lichtblitzen funkelt.
    Der Scarabäus bremst, indem er seine Flügel senkrecht stellt.
    Aber sie fliegen zu schnell. Bei diesem Tempo zu bremsen ist unmöglich. Sie machen eine Drehung und dann mehrere Purzelbäume.
    Nr. 103 683 packt den Panzer ihres fliegenden Streitrosses so fest, daß ihre Krallen das Chitin durchbohren. Ihre nassen Fühler peitschen ihr in die Augen und bleiben dort kleben.
    Sie donnern gegen eine Wassersäule, von der sie in eine Kette aus Regentropfen zurückprallen. Eine Flut schwappt über sie. Sie sind jetzt zehnmal so schwer als normalerweise. Wie eine reife Birne fallen sie auf die Zweigdecke der Stadt.
    Der Nashornkäfer zerplatzt, mit gebrochenem Horn, zerborstenem Kopf. Seine Deckflügel schweben zum Himmel, als wollten sie allein weiterfliegen. Da Nr. 103 683 eine leichte Ameise ist, geht sie unversehrt aus der Katastrophe hervor.
    Aber der Regen gönnt ihr keine Verschnaufpause. Mehr schlecht als recht wischt sie sich die Antennen ab und flitzt auf eine Pforte der Stadt zu.
    Dort ist ein Luftloch. Arbeiterinnen haben es verstopft, um die Stadt vor einer Überschwemmung zu schützen, aber Nr. 103 683 gelingt es, das Hindernis zu durchstoßen. Im Inneren wird sie von Wachen beschimpft. Ob sie sich nicht im klaren darüber sei, daß sie die ganze Stadt in Gefahr bringe?
    Tatsächlich folgt ihr ein winziges Rinnsal. Die Soldatin kümmert sich nicht darum, sie galoppiert weiter, während Maurerinnen sich beeilen, die Sicherheitsschleuse wieder zu schließen.
    Als sie erschöpft, aber im Trockenen stehen bleibt, bietet eine mitleidige Arbeiterin ihr eine Trophallaxis an. Die Errettete nimmt sie dankbar an.
    Die beiden Insekten stellen sich einander gegenüber und fangen an, sich auf den Mund zu küssen, um das Futter hochzuwürgen, das in ihrem Sozialkropf gelagert ist. Hitze, die Hingabe ihres Körpers, alles, was guttut.
    Dann begibt Nr. 103 683 sich eilends in einen Tunnel und saust durch mehrere Rundgänge.

50. LABYRINTH
    Düstere Gänge und feuchte Röhren. Dort schwebten ungewöhnliche Gerüche. Am Boden lagen verfaulte Futterreste und bunte Abfälle. Der Untergrund klebte an den Beinen, die Mauern schwitzten Feuchtigkeit.
    Penner, Bettler, falsche Musiker, echte Aussteiger bildeten Grüppchen, kungelten in ekelerregenden Banden.
    Einer von ihnen näherte sich, in eine rote Jacke geschnürt, der zahnlose Mund zu einem fiesen Lächeln erstarrt: »Ach, das kleine Fräulein spaziert so ganz allein durch die Metro? Weiß sie denn nicht, daß das gefährlich ist? Will sie nicht vielleicht einen Leibwächter?«
    Er lachte und tänzelte um sie herum.
    Bei entsprechender Gelegenheit wußte Laetitia Wells, wie man mit Rüpeln umgeht. Sie verhärtete ihren lila Blick, die violette Iris wurde beinahe blutrot und bedeutete ihm unmißverständlich: »Hau ab!« Der Mann verzog sich brummelnd.
    »Paß bloß auf, du Klugscheißerin! Wenn dich einer anfällt, dann hast du’s so gewollt!«
    Diesmal hatte die Methode gut geklappt, aber es war nicht gesagt, daß es immer so sein würde. Die Metro war zwar das einzig korrekte Verkehrsmittel geworden, gleichzeitig aber auch der Zufluchtsort der Raubtiere der Moderne.
    Als sie auf den Bahnsteig kam, verpaßte sie gerade einen Zug. In der Gegenrichtung fuhren zwei, drei Züge, während um sie herum die Menge wuchs und bereits Vermutungen geäußert wurden, es könnte einen unangemeldeten Streik geben oder es habe vielleicht mal wieder so ein Idiot die schlechte Idee gehabt, ein paar Stationen vorher Selbstmord zu begehen.
    Endlich tauchten zwei Lichtkugeln auf. Ein beinahe grelles Bremsenkreischen bohrte sich in ihr Trommelfell. Am Bahnsteig entlang schob sich die lange Röhre aus bemaltem, verrostetem Blech. Sie trug alle möglichen Graffiti: »Tod den Arschlöchern«, »Zum Teufel mit dem, der dies liest«,
    »Babylon dein Ende naht«, »Fuck Bastard Crazy Boys Territory«, ganz zu schweigen von den Kleinanzeigen und obszönen Bildchen, die rasch mit einem Filzstift oder einem Messer gekritzelt worden waren.
    Als die

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