Der Tag der Ameisen
warfen.
Es geschah jedoch, daß Marilyn Monroe diese Bartholomäus-Nacht überlebte. Sie kroch aus den Abfällen hervor, stellte eilends ihre eigene Gruppe von Häschern zusammen und ließ Katharina von Medici umbringen.
Diese grausigen Abrechnungen entsetzten die beiden Liebhaber der Ameisenzivilisation. Sie waren erschüttert. Die Ameisenwelt war also noch grausamer als die Menschenwelt.
Das war zuviel. Von einem Tag auf den anderen fingen sie an, die Ameisen ebenso inbrünstig zu hassen, wie sie sie zuvor geliebt hatten.
Kaum waren sie wieder in Äthiopien, schlossen sie sich einer breiten Bewegung zum Kampf gegen die Insekten des afrikanischen Kontinents an. Auf diese Weise kamen sie in Berührung mit den berühmtesten und besten Spezialisten auf ihrem Gebiet.
Professor Odergin nahm das Reagenzglas heraus und hielt es sich mit den gemessenen Gesten eines Priesters vor die Augen.
Seine Frau goß genauso feierlich ein weißes Pulver hinein.
Kreidestaub, um genau zu sein. Dann schüttete sie die Mischung in eine Zentrifuge und fügte noch mehrere milchige Flüssigkeiten hinzu, schloß das Gerät und schaltete es ein. Fünf Minuten später hatte das Ganze eine schöne silbriggraue Färbung.
Da kam ein Mann, um sie zu warnen. Auch er war Wissenschaftler. Er war groß und mager und hieß Cygneriaz.
Professor Miguel Cygneriaz.
»Wir müssen schnell machen. ›Sie‹ kommen gleich zu uns.
Maximilian MacHarious ist ebenfalls tot«, sagte er. »Wie weit ist die Operation Babel?«
»Alles ist bereit«, bekräftigte Gilles und zeigte ihm das Reagenzglas mit der silbrigen Flüssigkeit.
»Bravo. Diesmal haben wir, glaube ich, gewonnen. Sie können nichts mehr gegen uns machen. Aber Sie müssen abreisen, ehe sie von neuem zuschlagen.«
»Kennen Sie die Namen der Leute, die uns Knüppel zwischen die Beine werfen wollen?«
»Das muß ein Grüppchen von Pseudo-Ökologen sein. Sie wissen nicht einmal, was sie tun.«
Gilles Odergin seufzte.
»Kaum hat man mit was begonnen, kommt eine feindliche Kraft daher und durchkreuzt einem die Sache. Warum nur?«
Miguel Cygneriaz zuckte die Achseln.
»Das ist doch immer so. Wir müssen einfach die Schnelleren sein.«
»Aber wer sind unsere Feinde?«
Miguel Cygneriaz machte ein verschwörerisches Gesicht.
»Wollen Sie das wirklich wissen? Wir kämpfen gegen …
Kräfte der Erde. Sie sind überall. Und vor allem sind sie da drin, tief in den Winkeln unseres eigenen Verstands versteckt
… Glauben Sie mir, das ist das Schlimmste!«
Gilles und Suzanne Odergin starben genau dreißig Minuten, nachdem Professor Miguel Cygneriaz die silbrige Substanz mitgenommen hatte.
77. DAS IDOL DER INSEKTEN
Wir brauchen noch mehr Opfergaben.
Wenn Ihr Eure Götter nicht ehrt,
Können wir Euch durch Erde, Feuer und Wasser strafen.
Die Finger dürfen töten, denn die Finger sind Götter.
Die Finger dürfen töten, denn die Finger sind groß.
Die Finger dürfen alles, denn die Finger sind mächtig.
Das ist die Wahrheit.
Die Finger, die gerade diese anmaßende Nachricht gesendet haben, fliegen plötzlich hoch bis zu einem Nasenloch, das drei von ihnen ausgiebig bearbeiten; dann lassen sie davon ab, rollen eine Kugel, die einen Mistkäfer vor Neid hätte erblassen lassen, und schnalzen sie fort.
Schließlich wandern die Finger noch weiter hinauf, um eine Stirn zu stützen, hinter der sich jemand sagt, gute Arbeit geleistet zu haben. Und zwar eine Arbeit, die nicht jeder Erstbeste schafft.
78. KREUZZUG
Zu den beiden Ameisen gesellt sich nach und nach der Rest der Armee.
Nr. 103 683 hebt eine Antenne, spürt die aufgehende Sonne, die sie jetzt richtig erwärmt. Um sie herum herrscht Gewimmel.
Belokanierinnen, aber auch Zedibeinakanierinnen, die zum Zuschauen gekommen sind. Sie ermuntern lebhaft ihre beiden Legionen von Artillerie und leichter Kavallerie, aber auch den restlichen Kreuzzug. Nr. 23 wetzt ihre Mandibeln, Nr. 24 wacht über den Schmetterlingskokon. Nr. 103 683 verfolgt regungslos das Ansteigen der Temperatur. Bei genau 20° schnaubt sie und gibt das Pheromonsignal zum Aufbruch. Es handelt sich um ein gleichermaßen leichtes und doch widerstandsfähiges Rekrutierungspheromon aus Hexansäure (C6-H12-O2).
Sogleich marschieren Soldatinnen los, bilden eine erste Kolonne, die anwächst und in einem großen Aufmarsch von Antennen, Hörnern, Augenkugeln und prallen Hinterleibern aufbricht.
Der erste Kreuzzug gegen die Finger ist wieder unterwegs. Er findet bald
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