Der Tag der Dissonanz
wurde auch Roseroar von dem Gespräch wach. »Was is'n hia los?«
»Ich weiß es nicht«, murmelte Jon-Tom und beäugte den dahinkriechenden Boden. »Der Sand bewegt sich, und zwar viel schneller als gestern. Ich weiß nicht so recht, ob ich überhaupt wissen will, weshalb er das tut...«
»Sollen wir umkehren?« fragte die Tigerin, während sie sich die Sandkörner aus den Sandalen klopfte und sie anlegte.
»Das können wir nicht.« Jon-Tom schlüpfte ebenfalls in seine Stiefel. »Wenn wir jetzt zurückgehen, dann verlieren wir Jalwar und Wahnwitz und höchstwahrscheinlich auch Clodsahamps Medizin. Aber ich will keinen von euch dazu zwingen, bei mir zu bleiben. Roseroar, hörst du überhaupt zu?«
Das tat sie nicht. Statt dessen zeigte sie in Richtung Süden.
»Schätze, wia können uns 'n Alternativgutachten geben lassen. Wia kriegen nämlich Gesellschaft, Kameraden.«
Die Kamelreihe, welche die Tigerin erspäht hatte, lag zwar noch ein gutes Stück hinter ihnen, kam aber geschwind auf sie zu. Hastig nahmen die drei Gefährten ihre Ausrüstung auf und liefen den Rennkamelen entgegen. Die Sonne ging auf und brachte willkommenes Licht und unwillkommene Hitze. Und um sie herum kroch der Sand unaufhörlich westwärts.
Auf den Rücken der Kamelen befand sich eine höchst ungewöhnliche Versammlung in Umhängen gekleideter Nager - Packratten, Känguruhratten, Feldmäuse und andere verwandte Wüstenbewohner. Sie erschienen Jon-Tom wie ein Haufen katzenbärtiger Zwergbeduinen. Er sprang neben das Kamel an der Spitze, versuchte eine kleine Verbeugung und wäre beinahe über seine eigenen Füße gestolpert.
»Wohin wollt ihr denn so eilig?« Die Packratte gab keine Antwort, dafür aber das Kamel, ohne dabei innezuhalten. »Wir gehen nach Rotfels. Alles geht nach Rotfels, Menschenmann. Alles, was in der Wüste lebt.« Das Gebahren des Kamels war gebieterisch und arrogant, ganz wie es seiner Rasse entsprach. Es spie einen Klumpen übelriechenden Speichels nach links, und Jon-Tom, der ständig neben dem Reittier herrannte, mußte mit einem Sprung ausweichen, um nicht getroffen zu werden.
»Wer seid ihr denn?« fragte die vorderste Packratte. Der Rücken des Kamels bot mehreren von ihnen Platz. »Wir sind fremd in diesem Land.«
»Das ist ja nun wirklich nicht zu übersehen«, bemerkte das Kamel.
»Warum will denn alles nach Rotfels?« fragte Jon-Tom. Das Kamel blickte zu seinem vordersten Reiter empor und schüttelte traurig den Kopf. Die Ratte sagte: »Wißt ihr das wirklich nicht?«
»Warum sollten wir euch denn sonst wohl fragen, Kumpel?«
sagte Mudge.
Die Ratte gestikulierte mit beiden Pfoten und breitete die Arme dabei aus. »Es ist die Konjunktion. Die Zeit, da die Fäden der Magie, die dieses Land zusammenhalten, ihr Apogäum erreichen. Die Zeit der Zeitinversion.«
»Was soll das denn heißen?«
Achselzuckend entgegnete die Ratte: »Bittet mich nicht, es euch zu erklären. Ich bin kein Magier. Das weiß ich selbst nicht. Wenn ihr nicht bis zum nächsten Mondaufgang ir Rotfels in Sicherheit seid, werdet ihr es niemals mehr sein.« Der Reiter klatschte dem Kamel mit der Pfote gegen der Hals. Das Tier wandte ihm den Blick zu.
»Damit wollen wir gar nicht erst anfangen, Bartim, sonst gehst du nämlich zu Fuß. Ich bestimme mein Tempo selbst, genau wie meine Brüder.«
»Die Zeit naht!«
»Für mich nicht weniger als für dich«, sagte das Kamel mit gequältem Gesichtsausdruck. Es wandte sich Jon-Tom zu, der langsam an Höhe zu verlieren begann. »Wir sehen euch in Rotfels wieder, Fremde. Und wenn nicht, dann trinken wir einen großen Schluck auf euer Andenken.«
Keuchend im heißer werdenden Sonnenlicht mußte Jon-Tom sein Tempo verlangsamen, weil er mit den Kamelen nicht Schritt halten konnte. Auf festem Boden wäre ihm das vielleicht noch gelungen, doch nicht auf dem weichen, nachgiebigen Sand. Roseroar und Mudge waren nicht weniger außer Puste.
»Was war'n das füa 'n Gerede, Jon-Tom?« fragte Roseroar.
»Das weiß ich auch nicht so genau. Sehr vernünftig geklungen hat es nicht.«
»Du bist doch 'n Bannsänga.«
»Ich kenne zwar meine Lieder, aber keine andere Magie. Wenn Clodsahamp jetzt hier wäre...«
»Wenn Seine 'exerschaft jetzt 'ier wäre, wären wir nicht 'ier, Kumpel.«
»Was hältst du denn von ihrer Warnung?«
Der Sand begann sich bereits um die Füße des Otters aufzutürmen, und er trat wütend danach. »Die 'atten beide Angst. Ich weiß zwar nicht warum, aber sie 'atten Angst.
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