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Der Tag der Dissonanz

Der Tag der Dissonanz

Titel: Der Tag der Dissonanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Dean Foster
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begaben sich zur Achterkajüte. Der Steuermann, ein graues altes Warzenschwein, ignorierte sie. Von dem Kapitän war keine Spur zu sehen, wofür Jon-Tom unendlich dankbar war.
    Dicht neben der Stange des Kapitäns hatte man einen primitiven provisorischen Unterschlupf errichtet. Unter diesem schwachen Sonnenschutz kauerte ein Mädchen von etwa sechzehn Jahren; vielleicht war sie auch eine Spur älter. Früher war sie vielleicht mal hübsch gewesen. Doch nun klebte ihr das lange blonde Haar wie ausgebleichter Seetang am Gesicht. Abgesehen von dem schweren Stahlring, der ihren Hals umgab und mit einer Kette am Deck verbolzt war, war sie splitternackt.
    Die Kette gewährte ihr einen Bewegungsradius von etwa drei Metern. Nicht mehr. Gerade genug, um von ihrem Sonnenschutz bis zur Reling zu gelangen, wo sie vor den Augen der ganzen Besatzung ihre Notdurft verrichten mußte. Jon-Tom hatte keine Schwierigkeiten, die Peitschennarben, die Brandwunden und die Schrammen, die den größten Teil ihres Körpers übersäten, bis zu ihrem Ursprung zurückzuv erfolgen.
    Stumm saß sie unter ihrer Bedachung, die Beine nach einer Seite ausgestreckt, und schwieg, während sie näher kamen. Sie starrte sie nur an.
    Jon-Tom wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß vom Mund. Bis auf der, alten Steuermann waren sie allein auf Deck. Er riskierte ein Flüstern.
    »Wer bist du, Mädchen?« Keine Antwort. Nur diese leeren starrenden, blauen Augen. »Wie heißt du?«
    »Laß sie lieber in Ru'e, Kumpel!« sagte Mudge leise. »Siehst du denn nich, daß von ihr nich mehr viel übrig is? Wahrscheinlich is sie wahnsinnig oder kurz davor. Vielleicht 'aben sie ihr auch die Zunge rausgeschnitten, damit sie nicht mehr schreien kann.«
    »Weder noch«, sagte der Steuermann. Er sprach ohne den Blick vom Kurs des Schiffs zu nehmen. »Das ist Wahnwitz, das Spielzeug des Kapitäns. Er hatse von einem Schiff geholt, das vor mehreren Monaten gesunken ist. Seitdem machtse nichts als Ärger. Sie ist unkooperativ und wußte es nicht zu schätzen, wenn der Kapitän mal nett zu ihr war. Ich weiß auch nicht, warum er se nicht einfach über Bord schmeißt, dann war die Birne geschält. Es war Wahnwitz, sie an Bord zu nehmen, und Wahnwitz, sie zu behalten, deshalb heißt sie auch Wahnwitz.«
    »Aber wie lautet denn ihr wirklicher Name?«
    Ein dünnes, kaum hörbares Stimmchen antwortete aus dem Unterschlupf: »Ich habe keinen Namen. Wahnwitz ist ebensogut wie jeder andere auch.«
    »Du kannst sprechen, also haben sie dich noch nicht völlig kleingekriegt.«
    Verbittert und zornig sah sie Jon-Tom an. »Was weißt du denn schon? Ich habe dich beobachtet.« Ihr Mund zuckte. »Jetzt hast du Schmerzen. Ich habe gesehen, wie sie euer Boot gekapert und euch an Bord gebracht haben. Die Tigerin wird noch eine ganze Weile hier bleiben. Der Alte hält keine zwei Wochen aus. Der Otter ein bißchen länger, wenn er den Mund hält.
    Aber du«, sie musterte Jon-Tom verächtlich, »du wirst etwas Falsches sagen und deine Zunge einbüßen. Oder es ergeht dir noch schlimmer.«
    »Was ist dir passiert?« Jon-Tom achtete darauf, leise zu sprechen und die Arme in Bewegung zu halten, damit Sasheem oder ein anderer Maat das Gespräch nicht bemerkten.
    »Was tut das schon?«
    »Mir macht es was aus. Und dir sollte es auch etwas ausmachen, weil wir nämlich von Bord gehen werden.« Wenn der Steuermann ihn verstanden hatte, so ließ er es sich zumindest nicht anmerken.
    Das Mädchen lachte kurz und scharf. »Und du hast gedacht, ich sei verrückt geworden.« Sie blickte zu Roseroar hinüber.
    »Der Mann ist doch verrückt, oder?« Roseroar erwiderte nichts, sondern beugte sich über ihre Arbeit.
    »Und du wirst mitkommen«, fuhr er fort. »Ich lasse dich nicht hier zurück.«
    »Warum nicht? Du hast eigene Sorgen. Warum mich nicht hier zurücklassen? Du kennst mich nicht, und du schuldest mir nichts.« Sie spuckte auf das Deck. »Das ist ein dämliches Gespräch. Du gehst sowieso nirgendwohin.«
    »Was ist passiert?« drängte er sie sanft.
    Sie schien ein winziges bißchen an Härte zu verlieren, als sie den Blick abwandte. »Meine Familie und ich waren auf einem kleinen Paketboot, das von Jorsta zu den Inseln von Durl fuhr, als wir von diesen Bastarden überfallen wurden. Sie haben meinen Vater zusammen mit allen anderen Männern an Bord umgebracht und später auch noch meine Mutter. Weil meine kleine Schwester zu jung war, um für sie von Nutzen zu sein, haben sie sie über Bord geworfen.

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