Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
durchsetzen können.«
»Und was für Interessen sollten das sein?«, fragte Sukan. »Außer natürlich das finstere Gelichter in allen Landen auszumerzen, die Lucans Glanz erreicht.«
»Ihr hattet schon angesprochen, was uns gemeinsam zu tun bleibt.« Gulbert lächelte breit. »Die Krone von Bitan. Ihr seid ein Nachfahre von König Lukar. Es wäre eine Beleidigung Eures Geschlechts, wenn Ihr ohne die Königswürde Eures Ahnen einen Zug in die Grauen Lande unternehmen müsstet. Wenn wir es geschickt anstellen, werdet Ihr sie diesmal auch bekommen, das verspreche ich Euch.«
Der Nachtalb schritt durch die Gänge von Leuchmadans Hort. Sie waren dunkel und kalt. In manchen Kammern fand er Spuren kürzlichen Lebens. Ausrüstung lag dort ausgebreitet, die erst in jüngerer Zeit aus Daugazburg hierher gebracht worden war.
Jemand hatte diese Räumlichkeiten eingerichtet, sie vorbereitet und sie bewohnt. Jetzt waren sie verlassen.
Einmal kam der Nachtalb an zwei Körpern vorüber. Sie lagen in einem Winkel des Gangs und waren in rötlich schimmernde Fasern eingesponnen. Die Fäden umhüllten die ausgezehrten Leiber, durchdrangen sie und versanken in den umliegenden Wänden, bis die Körper so aussahen wie im Stein verankerte Kokons. Nur wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, dass es Alben waren.
Der Nachtalb blickte auf seine Brüder hinab und schüttelte den Kopf. Dann ging er weiter.
Endlich erreichte er die letzte Kammer, eine Halle von ungeheuren Ausmaßen. Die Decke fiel nach hinten ab. Rechts vom Eingang stand ein langer Tisch an der Wand. Sein Ende verlor sich in der Weite der Halle. Alchemistische Apparaturen standen darauf verteilt, und sie waren neu. Die Tür war ein gewaltiger Felsblock, der an viel zu dünnen Angeln hing und weit offen stand.
Der Nachtalb wartete einen Augenblick, bis unter der Decke strahlende Linien aufglühten und den Raum erhellten. Sofort sah er weitere Leichen. Mindestens ein halbes Dutzend lagen hier, alles Nachtalben, von demselben rötlichen Gespinst umwoben und mit dem Fels verbunden.
Narren, einer wie der andere. Sie hatten ihr Schicksal verdient.
Diese Alben hatten dieselbe Idee gehabt wie er: sich mit dem Blut der Erde zu vereinen und von dessen Macht zu zehren. Sie waren einer Verlockung erlegen, die über alle Liebe zu ihrer Herrin hinausging. Geliuna hatte ihre Treue zu hoch eingeschätzt.
Aber in ihrer Gier waren sie vorschnell und unachtsam gewesen. Der Nachtalb hatte viele Jahrhunderte lang studiert, um auf diesen Tag vorbereitet zu sein. Doch jene anderen Alben hatte alle Macht sofort gewollt.
Eine körperliche Verbindung zum Blut der Erde war nicht möglich. Es war zu stark. Die Magie in dieser Flüssigkeit veränderte den Körper, vernichtete ihn. Wer mit dem Blut der Erde in Berührung kam, war dem Tod geweiht.
Doch was diesen Dummköpfen widerfahren war, schreckte den Nachtalb nicht ab. Es spornte ihn an! Entschlossen schritt er zur hinteren Wand der Halle. Der Boden wurde zerklüfteter. Bald erinnerte er mehr an eine naturbelassene Höhle als an eine aus dem Fels gehauene Kammer.
Wo die leuchtenden Linien unter der Decke zusammenliefen, stieß der Nachtalb auf ein steinernes Becken. Die Quelle des Blutes. Zwischen zwei Felsgraten brodelte eine zähe, rotschwarze Flüssigkeit. Sie sickerte an der Wand herab und schwappte träge in ihrem Bassin.
Der Nachtalb griff unter seinen Mantel und holte ein Objekt aus feinem Kristall hervor. Bauchige Auswüchse wölbten sich aus einem zentralen Korpus, dünne Glasrohre liefen darüber wie Adern. Der Nachtalb zog einen Stopfen ab, und es zeigte sich, dass das Artefakt im Inneren so hohl war wie eine Wasserflasche.
Ein jedes lebende Wesen auf der Welt hatte nur ein einziges Leben zu vergeben. Das galt für einen Nachtalb, dem die Zeit so viel bedeutete wie dem Mond auf seinem endlosen Lauf, ebenso wie für einen Menschen, dem das Leben so knapp bemessen war wie das Licht einer brennenden Kerze. Es war immer nur ein Leben, wie lange es auch dauern mochte, und deswegen konnte man nur einmal sein Leben an ein Objekt binden. Nur einmal ein magisches Herz schaffen.
Der Nachtalb hatte sich lange enthalten. Mit diesem höchsten aller Zauber wollte er sein Lebenswerk krönen, ein schwieriges Werk, das langer Vorbereitung bedurfte, höchsten Geschicks, und dessen Ausgang bis zuletzt ungewiss blieb. Den Zauber des magischen Herzens wollte er mit einer anderen Magie zusammenbringen, an der er schon bedeutend länger
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