Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
der leichte Fettgeruch wieder in die Nase. Ein Hauch von Blut war dabei, kaum wahrzunehmen, wenn er sich nicht so auffällig mit dem Duft der Salbe verbunden hätte.
Weswegen war sie überhaupt so aufgeregt? Sie tat doch nichts Verbotenes! Frafa schaute auf die Soldaten, auf die letzten drei Alben, Ratsmitglieder, die an einer Gebäudeecke beisammenstanden und miteinander sprachen, gestikulierten. Sie sollte ihnen Bescheid geben oder den Wachen. Unter Frafas Führung würden sie den General mühelos aus seinem Versteck holen können.
Von Hauptmann Dranjar war nichts mehr zu sehen.
Frafa öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Sie kniff die Augen zusammen. Einer der Alben an der Ecke war jener unfreundliche Bursche gewesen, der sich bei ihrer Aufnahme in den Rat gegen sie gestellt hatte. Denen würde sie ihren Fang gewiss nicht ausliefern! Sie würden nur Ruhm und Lohn für sich einstreichen wollen.
Vielleicht sollte sie Salvan Bescheid geben? Der würde wissen, wie man am besten verfuhr.
Frafa zögerte. Sie hatte schon zu viele Fehler gemacht, und die meisten davon, so erkannte sie jetzt, weil sie einfach das getan hatte, was man von ihr erwartete. Bleidan war deswegen gestorben, und sie hätte es so gern ungeschehen gemacht!
Diesmal wollte sie genauer nachdenken, bevor sie eine Entscheidung traf. Hatte sie überhaupt einen Grund, ihr Wissen mit irgendjemandem zu teilen?
General Ganoch hatte Bleidan verraten und dessen Fortschrittsfreunde . Das war der Grund, warum der Rat nach ihm suchte.
Aber ich selbst habe Bleidan auch verraten, und mit viel schlimmeren Folgen .
Bleidan hatte gewollt, dass Ganoch dem Rat ausgeliefert wurde. Dann hatte derselbe Rat Bleidan zum Tode verurteilt. Wäre es wirklich in Bleidans Sinne, wenn sie nun Bleidans Mördern ein weiteres Opfer lieferte?
Frafa fuhr sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis, und sie ging ein Stück von der Mauer weg. Sie musste etwas tun, sie musste sich bewegen, um ihren aufgewühlten Geist zu beruhigen. Und um etwas Zeit zu gewinnen.
In einer anderen Ecke des Hofes fing sie wieder an zu suchen. Sie suchte nicht mehr nach Nachtalbenart, mit hoch erhobenem Haupt, sondern tastete mit den Fingerspitzen zwischen den Steinen, wie die Soldaten es getan hatten. Immer wieder blickte sie sich um, ob jemand misstrauisch wurde. Aber die Soldaten beachteten sie nicht, nur einer der Alben blickte einmal abschätzig zu ihr hin, ehe er sich wieder seinen Begleitern zuwandte.
Was würde ein Nachtalb tun?
Das war die Frage, die Frafa sich gestellt hatte, als sie Bleidan verraten hatte. Und sie hatte es bereut.
Aber was will Frafa tun?
Vielleicht war es an der Zeit, dass sie diese Frage beantwortete.
Auf ihrem tastenden Weg über den Hof war Frafa inzwischen fast wieder dort angekommen, wo, wie sie wusste, der gesuchte Gnom stecken musste. Sie musste zu einer Entscheidung kommen.
Ganoch hatte Bleidan verraten. Sie hatte dasselbe getan, aber sie hatte es deswegen getan, weil Darnamur sie dazu genötigt hatte. Womöglich war es bei Ganoch nicht anders gewesen?
Frafa wusste es nicht. Im Grunde wusste sie nur eines gewiss: Sie wollte diesen Gnom nicht an Darnamur ausliefern. Sie würde niemanden mehr an Darnamur ausliefern, niemals mehr! Und ob sie ihn an den Rat auslieferte oder an Darnamur, das blieb sich gleich.
Ihr Finger fuhr bedächtig durch eine Rille am Fuß des Warpelturms. Die magische Salbe dämpfte Magie, aber als Frafa den Gnom fast berührte, konnte sie doch dessen lebende Aura spüren. Frafa erschrak. Die Aura war so schwach, noch schwächer, als es bei einem Geschöpf dieser Größe zu erwarten war. Der Gnom musste auf den Tod verwundet sein!
Wieder dachte sie an Bleidan und an das, was er ihr erzählt hatte. Bleidan hatte seine Forschung dem Leben und der Heilung gewidmet. Also würde es Bleidans Idealen entsprechen, wenn sie diesem Gnom half … oder wenn sie es zumindest versuchte.
Bleidan selbst hätte womöglich etwas anderes getan. Aber Bleidan hatte auch andere Dinge getan, die Frafa erschüttert hatten. Frafa wollte Bleidan lieber im Gedächtnis behalten, indem sie seinen Idealen folgte, nicht seinen Fehlern und seinen Irrwegen.
Ihre Fingerspitze verharrte über dem winzigen Geschöpf in der Mauerspalte. Ganoch, lange Zeit der Stellvertreter des mächtigen Darnamur, sein Handlanger. General und Anführer der Truppen im Felde. Ein mächtiger Mann, ein Verbrecher vielleicht.
Doch auf der anderen Seite … ein
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