Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
schaute sich kurz um, aber niemand achtete auf ihn. Regil sah seine Genossen und seine Nachbarn, die immer noch an dem Weinstand standen, die Becher in den dick behandschuhten Händen. Andere Menschen gingen durch die abendlich erleuchteten Straßen. Manche stapelten Möbel vor ihren Häusern auf und bereiteten sich auf einen Umzug vor.
Regil Morada schüttelte den Kopf und ging weiter.
Es war nicht weit bis zu seinem Haus. Er betrat den Flur und stieg die Treppe empor. Die Stufen knarrten unter seinen schweren Schritten, und er hielt sich mit einer Hand am Geländer fest. Als er auf der vorletzten Stufe angekommen war, wuchs vor ihm plötzlich ein Gnom aus dem Boden.
»Buh!«, rief Magati. Sie sprang in die Luft und fuchtelte mit den Händen vor Regils Gesicht herum.
»Wa– wa …«, stammelte Regil und zuckte zurück. Er verlor auf der steilen Treppe das Gleichgewicht und taumelte nach hinten. Das Geländer barst, als er dagegenfiel. In Panik griff er nach einer Strebe, aber sie gab nach, und Regil stürzte schreiend in die Tiefe.
Drei Stockwerke tiefer schlug er auf dem steinernen Boden auf, und es wurde still.
Mit zwei Schritten eilte Magati zum Geländer und schaute hinunter. »Leuchmadans Gnade. Ich wollte ihm nur einen Schrecken einjagen.«
Audan stand mit einem Mal neben ihr. »Darnamur würde das gefallen«, bemerkte er. »Das hat er sich wohl vorgestellt, als er seine Miliz zu einem ›Prognom‹ ausschickte.« An seiner Begleiterin vorbei schaute er hinab. Von hier oben aus konnte man nur die Beine des Gestürzten sehen, die seltsam verdreht voneinander abstanden.
Dann hörten sie Stimmen hinter den Türen. Weitere Bewohner des Hauses regten sich.
»Regil?«, rief eine Frauenstimme gleich hinter der nächsten Tür. »Bist du das?« Schritte näherten sich auf knarrenden Dielen.
»Ich wollte es auf Gnomenart regeln«, sagte Magati. »Mit einem Streich.«
»Es war ein Unfall«, erwiderte Audan. »Komm, machen wir uns klein. So was kommt öfter vor.«
Und Audan hatte recht. In diesen Tagen gab es viele solche Unfälle in Daugazburg. Unter Menschen, Goblins und auch unter den anderen großen Völkern. Vor allem traf es schlecht gelaunte Bürger, die ihrem Unmut Luft machten und mit anderen darüber sprachen. Es gab Unfälle und unaufgeklärte Morde und ganz rätselhafte Todesfälle, bis die Luft schließlich schwer wurde von unausgesprochenen Gedanken.
Die geheime Gnomenstube im Roten Drachen war zum Bersten voll. Darnamur hatte vor dem Tresen mit den größten Tischen einen Winkel abgetrennt, in dem er sich mit den Offizieren und mit den ausgewählten Mitgliedern seiner Messer versammelt hatte. Die Gnome im anderen Teil der Stube standen so dicht, dass man kaum atmen konnte. Immer mehr Gnome strömten in den Treppenaufgang und wollten herein.
»Warum sollten wir unsere Kompanien eine Stunde vor Beginn der Versammlung hier drin antreten lassen?«, flüsterte Dranjar ihm zu. »Wenn du Ärger erwartest, hätten wir sie besser draußen vor dem Gebäude versammelt. Da können sie sich wenigstens bewegen!«
Darnamur schaute über die Menge. Fast alle Gesichter kamen ihm bekannt vor. Es waren dieselben, die sich im Verlauf der letzten Jahre regelmäßig hier getroffen hatten, wenn auch selten so viele auf einmal. Die meisten von ihnen trugen Waffen aus Drachenbein und waren schon an ihrer Kleidung als Kundschafter zu erkennen – Gnomenkrieger, das Rückgrat der Revolution und ihrer derzeitigen Vorherrschaft.
»Ich brauche sie genau hier«, sagte Darnamur.
»Da draußen stehen mehr als dreimal so viele Gnome, wie in den Saal passen«, nörgelte Dranjar. »Und das ausgerechnet heute! Was ist mit deinem groß angekündigten ›Prognom‹? Angst und Schrecken sollten wir in der Stadt verbreiten. Stattdessen hältst du deine besten Truppen stundenlang hier fest und überlässt die Straßen den Stümpern . Den Hilfstruppen. Den angelernten Plänklern. Gnome ohne Disziplin, die nichts als Unsinn im Kopf haben.«
»Dranjar«, meldete sich Batha zu Wort. »Du verstehst mal wieder gar nichts.«
»Frieden, meine Freunde.« Darnamur wandte den Blick von der Menge und drehte sich lächelnd seinen Begleitern zu. Nacheinander musterte er auch die übrigen Offiziere und die Veteranen, die er hinter dem Tisch versammelt hatte. »Heute ist ein großer Tag für uns Gnome. Wir wählen die Vertreter unseres Volkes, die wir in den Hohen Rat schicken. Wir müssen Einigkeit zeigen. Soldaten streiten nicht im Angesicht
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