Der Tag der Rache. Private Berlin
sich kurz ein Spalt, schloss sich aber gleich darauf wieder. »D arüber weiß ich nichts. Und du solltest das auch nicht.«
»I ch habe Grund zu der Annahme, dass dort jemand ermordet wurde«, fuhr Dietrich fort. »M it Sicherheit angegriffen.«
»B lut, aber keine Leiche?«
»E in Stück Haut, aber keine Leiche. Und Tierblut. Eine ganze Menge. Wir nehmen das Schlachthaus gerade unter die Lupe. Werden wir etwas finden?«
Der Oberst blinzelte ein paar Regentropfen fort, die an seinen Wimpern hingen. »E s könnte sich um einen Kampf zwischen Obdachlosen handeln.«
»D afür haben wir noch keinen Beweis.«
»M ehr fällt mir auch nicht ein.«
Dietrich glaubte ihm nicht. Bereits als Kind hatte er gemerkt, dass sein Vater umso mehr log, je mehr er sich unter Kontrolle hatte. »I ch habe ein Leben, Oberst«, sagte er. »E ine Stellung. Einen Ruf. Menschen, die auf mich zählen.«
»M enschen, die nicht wissen, wer du wirklich bist«, höhnte sein Vater. »E hrlich gesagt, Hans, sind mir dein Leben, deine Stellung, dein Ruf und deine Leute egal. Und falls ich es dir beim letzten Mal, als wir uns sahen, noch nicht gesagt habe: Wenn ich an dich denke, was zugegebenermaßen selten vorkommt, dann nur als Enttäuschung. Dein Verhalten heute hat meine Einschätzung nicht verändert.«
Mit diesen Worten drehte sich der Oberst um und setzte seinen flotten Abendspaziergang fort, als hätte er keine Pause eingelegt.
Wut flammte in Dietrich auf.
Und Angst.
1 7
Das Haus, in dem Mattie Enge l i n der Schliemannstraße südlich der Prenzlauer Allee wohnte, war in leuchtendem Grün, Rot und Weiß gestrichen. Es stand neben einer Kindertagesstätte, deren Mauern mit Bildern bemalt waren. Sie zeigten Kinder, die auf Dreirädern fuhren oder mit Kipplastern spielten.
Tom Burkhart hielt auf dem Kopfsteinpflaster vor der Kita an. Mattie auf dem Beifahrersitz hielt Sokrates auf ihrem Schoß. Sie waren zurück zu Chris’ Wohnung gefahren, hatten den Kater geholt, die Wohnung gesichert und anschließend versucht, Dietrich anzurufen. Der jedoch hatte sich nicht gemeldet, so dass Mattie eine Nachricht hinterlassen hatte. Er würde sie noch früh genug abhören.
»K ommst du heute Abend zurecht?«, fragte Tom, als sie gerade die Tür öffnen wollte.
»W enn ich nicht mehr mit dir im Auto sitzen muss, ja.«
»W as?«
»W ir haben Glück, dass wir nicht im Knast gelandet sind.«
»Q uatsch!«, wehrte sich Tom. »I ch hatte alles im Griff. Aber hast du das auch?«
»I ch muss schlafen«, erwiderte Mattie nach kurzem Zögern. »C hris könnte irgendwo da draußen noch leben, und ich werde schlafen gehen.«
»D ie Arbeit wird dir leichter von der Hand gehen, wenn du geschlafen hast«, beruhigte Tom sie in sanfterem Ton. »W ir sehen uns morgen früh bei Dietrich.«
Mattie nickte, stieg aus dem BMW und eilte mit dem Kater auf dem Arm zur Haustür. Tom wartete, bis sie den Flur betreten hatte, und fuhr los. Mattie nahm den Fahrstuhl in den zweiten Stock, blieb aber vor ihrer Wohnungstür stehen. Aus der Wohnung drangen Fernsehgeräusche und der Geruch von gebratenen Zwiebeln.
Sie blickte zur Katze hinab. Wie soll ich das überstehen? Was soll ich sagen?
Sokrates blinzelte sie nur an und miaute.
Mattie steckte den Schlüssel ins Schloss und betrat einen offenen Bereich mit Sofa, zwei Stühlen und einem Beistelltisch. Im hinteren Teil diente eine Theke als Abtrennung zur Küche, wo Matties Tante Cäcilia, eine untersetzte Frau Anfang siebzig, das sonntägliche Abendessen zubereitete.
Seit dem Mauerfall lebte Tante Cäcilia immer mal wieder bei Mattie. Sie hatte Mattie zur Frau heranwachsen sehen und sich um Matties sterbende Mutter gekümmert. Mattie wusste nicht, wie sie es ohne sie geschafft hätte.
»T or durch Cassiano! Tor durch Cassiano!«, dröhnte der Fernseher im Raum gegenüber der Küche. Eine Jungenstimme stimmte in den Jubel mit »T or durch Cassiano! Tor für Berlin« ein.
Sokrates sprang von Matties Arm und schlich dem Gebrüll entgegen. Mattie folgte ihm, während sie sich aus ihrer Regenjacke wand. »N iklas?«, rief sie. »I ch bin zu Hause.«
»H allo, Schatz!«, rief ihre Tante aus der Küche. »D ein Abendessen ist gleich fertig.«
»D anke.« Mattie blickte um die Ecke in den kleinen Raum gegenüber der Küche. Ihr neunjähriger Sohn zappelte auf dem Sofa herum, während im Fernsehen die Wiederholung gezeigt wurde. »T or durch Cassiano!«, rief er, als der Schütze den Ball erneut in die rechte obere
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