Der Tag der Rache. Private Berlin
rief sie und warf sich mir weinend an den Hals.
Ich nahm sie in meine Arme, wie es ein liebender Sohn tun würde. »M ir hat man ebenfalls gesagt, du seist dort gestorben.«
Entsetzt lehnte sie sich ein Stück zurück. »N ein!«
»D och.«
»A ber es hieß, dir hätte man erzählt, ich sei in den Westen gegangen.«
»D ie haben viel erzählt«, entgegnete ich. »I ch habe nichts von dem geglaubt.«
»U nd ich hätte es auch nicht glauben sollen. Komm rein! Draußen ist es kalt!«
Pflichtschuldig über ihr mütterliches Auftreten lächelnd, folgte ich ihr ins Haus und schloss die Tür hinter mir.
Der Wohnbereich war schlicht eingerichtet, mit einem dick gepolsterten Lesesessel und einer Lampe daneben. In einem Holzofen brannte ein Feuer. Nirgends waren Fotos zu sehen, was meine Mission umso einfacher machte. Wieder sah sie mich verwundert und erfreut an. »I ch habe dich nicht wiedererkannt.«
»E s ist lange her«, sagte ich.
»U nd dein Vater ist tot.«
»S eit fünf Jahren.«
Sie verzog ihr Gesicht voll Schmerz. »D as habe ich gehört. Aber alles vergeht irgendwann einmal.« Sie schluckte und sah mich flehend an. »V erzeihst du mir?«
Ich hatte meine Reaktion nicht unter Kontrolle. Meine rechte Hand schnellte nach vorn und legte sich um die Kehle meiner geliebten Mutter. Sie würgte, und ihre Augen traten heraus, als ich sie hochhob.
»I ch werde dir nie verzeihen, dass du mich verlassen hast, Mutter.«
7 0
Der Firmenjet von Private, eine schicke Gulfstream G650, die Nobelkarosse im privaten Fluggeschäft, klappte um neun Uhr fünfundvierzig über dem Flughafen von Frankfurt am Main das Fahrgestell zur Landung aus. Mattie nahm den letzten Schluck Kaffee, reichte dem Flugbegleiter ihre Tasse und sah aufs Titelblatt der Berliner Morgenpost hinab. Die Zeitung war voll mit Berichten über den Mord an Agnes Krüger und Hermann Krügers Verschwinden.
Die Berliner Polizei durchsuchte gerade sein Büro und alle bekannten Wohnsitze. Der Aktienkurs von Krüger Industries war im Überseehandel gefallen, und gleichzeitig hatte Olle Larsson, der schwedische Finanzmogul, Dokumente vorgelegt, die bewiesen, dass er seinen Anteil an Krüger Industries von fünf auf zehn Prozent erhöht hatte.
Mattie, die versuchte, alles unter einen Hut zu bekommen, schüttelte verwirrt den Kopf. Hatte Krüger mit dem Mord zu tun? Hatte er Chris als kleinen Jungen gekannt? Immerhin war Krüger in Ostberlin geboren.
Sie hob den Kopf und warf Tom einen Blick zu. Der ehemalige Antiterrorkämpfer saß auf dem Ledersessel ihr gegenüber, die Augen geschlossen, den dicken, rasierten Schädel zur Seite gekippt. Er atmete langsam und gleichmäßig.
Wahrscheinlich hatte Mattie ihn unterschätzt. Nachdem sie das Licht in Niklas’ Zimmer ausgeschaltet hatte, war sie zurück in die Küche gegangen, wo Tante Cäcilia gelacht und er vor einem Teller mit Würstchen und Kartoffelpuffer gegrinst hatte.
»E r ist richtig witzig«, hatte Tante Cäcilia gesagt.
»U nd sie ist eine tolle Köchin«, hatte Tom sie gelobt und an seinem Bier genippt.
»D as weiß ich«, hatte Mattie bestätigt und sich vor ihren eigenen Teller gesetzt.
Fast eine Stunde lang hatten sie miteinander geredet. Tom war unterhaltsam und in lustiger Weise sarkastisch, eine Eigenschaft, die wahrscheinlich das Ergebnis seiner früheren Tätigkeit war.
Er hatte sich bei Tante Cäcilia zweimal für das Essen bedankt, bevor Mattie ihn zur Tür gebracht hatte.
»S o gut hat’s mir schon lange nicht mehr geschmeckt«, hatte Tom gesagt. »D anke.«
»G ern geschehen.«
Er hatte gelächelt. »W ir sehen uns dann morgen in der Besprechung?«
»A uf jeden Fall«, hatte sie versichert und die Tür hinter ihm geschlossen.
Ja, Tom war ein ganz anständiger Kerl. Doch sie hatte nicht an ihn gedacht, als sie zu Bett gegangen war, sondern immer nur Bilder vor sich gesehen, auf denen Chris und Greta Amsel das Waisenhaus 44 betreten hatten.
Ihr Mobiltelefon hatte um 6.20 Uhr geklingelt, nachdem sie weniger als sechs Stunden geschlafen hatte. Ernst Gabriel hatte eine weitere Waise gefunden, Artur Becker. Er arbeitete als Konstrukteur bei BMW in München und hatte seinen echten Namen in Artur Jäger geändert.
Mattie hatte bei BMW angerufen und nach Jägers Telefonnummer gefragt. Artur Jäger sei auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt am Main, und das Unternehmen gebe grundsätzlich keine persönlichen Telefonnummern heraus. Nachdem Mattie aber gedrängt hatte,
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