Der Tag der Rache. Private Berlin
Du musst es aber draufhaben, Mädchen. Und? Hast du nicht Lust auf ein bisschen Spaß?«
80
Freunde, bei einhundertdreißig Stundenkilometern sollte ich es rechtzeitig in meine Narbenstadt schaffen, damit ich meine Verabredung am späten Nachmittag nicht verpasse.
Ich gähne. Ich brauchte mehr als eineinhalb Stunden, um zum Bahnhof zu laufen und zur Messe zurückzufahren. Doch mein Mercedes stand noch dort, wo ich ihn zurückgelassen hatte, weitab von Halle 1, die mit Sicherheit von der Polizei abgeriegelt wurde.
Seitdem sitze ich im Auto und bin, wie ich zugeben muss, müde. Ich sollte anhalten und schlafen. Doch es gibt noch so viel zu tun, bevor ich ans Ausruhen denken kann.
Deshalb nehme ich eine Packung Amphetamine aus dem Handschuhfach, schlucke zwei, denke kurz nach und werfe eine dritte hinterher. Im Radio wird vom Mord an Artur Jäger und der Jagd auf der Autobahn berichtet. Der Maserati sei gefunden worden, jetzt werde man die DNA -Proben untersuchen.
Das bereitet mir keine Sorgen. Nichts kann mich mit dem Wagen in Verbindung bringen.
Als die Wachmacher endlich wirken, blicke ich auf den Ordner auf dem Beifahrersitz. Ich schlage ihn auf und blättere die Seite mit dem Bild von Artur und seiner Mutter aus den Archivunterlagen um. Dahinter befindet sich das Bild von zwei Mädchen, neun und sechs Jahre alt. Sie umarmen sich.
Ilona und Ilse.
Ich habe alle Tricks versucht, die ich kenne, um Ilse zu entlocken, wo Ilona wohnt. Doch sie weigerte sich bis zum Schluss. Aber sie verriet mir, Ilona sei wegen mir psychisch krank und methadonabhängig.
Ja, alles klar.
Methadonabhängig.
Das heißt, Ilona ist registriert. Das heißt, sie geht in eine Klinik, und somit kann ich sie finden. Wenn ich Glück habe, stirbt sie heute Abend, dann gehen fast alle meine Geheimnisse mit ihr unter.
Ilona Frei?, überlege ich. Ilona? Ich schiele zum Foto hinüber. Diesen Namen hat dir jemand nachträglich gegeben. Wie hast du früher noch mal geheißen?
Spielt keine Rolle. Ich würde dich immer erkennen, egal wie man dich nennt. Du sahst deiner jüngeren Schwester so ähnlich. Deiner Mutter aber überhaupt nicht.
8 1
Tom und Mattie folgten Michelle durch den Paradise Club, dessen Flure beiderseits mit Türen gesäumt waren.
»W ohin gehen wir?«, fragte Mattie, die sich unwohl fühlte.
»W ir werden uns mit Genevieve unterhalten«, antwortete Michelle, als sie um eine Ecke bogen.
Mattie folgte nur widerwillig, neben sich Tom, der immer noch sein Handtuch zusammenhielt. An den Wänden zwischen den Türen standen rote Samtsofas mit goldlackierten Gestellen. Auf einem saß ein Mann mit geschlossenen Augen, über seinem Schoß hüpfte der Kopf einer nackten Frau.
»D ie treiben es hier in aller Öffentlichkeit?«, flüsterte Mattie Tom zu.
»I ch verstehe unter Spaß auch was anderes«, zischte Tom zurück.
Michelle hatte die letzte Tür rechts erreicht und klopfte laut. »G enevieve? Ich bin’s, Michelle. Bitte unterbrich das, was du gerade tust, und sag deinem Kunden, ihm wird für seine hier verbrachte Zeit nichts berechnet.«
Einen Augenblick später erschien ein wütender Italiener, der vor Michelle trat, um sie wegen der Störung zusammenzustauchen. Tom baute sich drohend vor ihm auf und riet ihm, duschen zu gehen. Der Mann zögerte, stapfte aber schließlich, auf Italienisch fluchend, davon.
Genevieve, eine hübsche junge Frau aus Guadeloupe mit glatter brauner Haut und langem, welligem Haar, trat an die Tür. »J etzt sind mir hundertfünfzig Euro entgangen«, beschwerte sie sich.
»W ir werden Sie dafür entschädigen«, versicherte Mattie ihr.
Genevieve kniff die Augen zusammen. »W er sind Sie?«
»V ielleicht gehen wir lieber rein«, schlug Michelle vor.
Genevieve zuckte mit den Schultern und kehrte ins Zimmer zurück, das beinahe vollständig vom Bett ausgefüllt wurde. In den Spiegeln an Decke und Wänden konnten Mattie und Tom sich und die beiden Frauen aus allen Blickwinkeln eingehend betrachten.
Michelle stellte Genevieve die beiden Private-Ermittler vor. Sie seien hier, um herauszufinden, was mit Ilse Frei und Chris Schneider passiert war. Genevieve erklärte sich nur zögerlich zum Gespräch bereit, bestätigte schließlich jedoch, was Mattie und Tom bereits von Tina Hannover wussten, und hatte noch mehr Einzelheiten auf Lager. Genevieve sei im Umkleideraum der Frauen gewesen, als Ilse zwei Wochen zuvor zitternd und weinend hereingerannt sei und erzählt habe, sie habe gerade einen Kunden
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