Der Tag der Rache. Private Berlin
sein Vater über die Gräber hinweg auf die riesige Statue gezeigt und gesagt: »D eine Mutter ist jetzt wie diese Helden, die hier begraben wurden, Hans. Und du, du bist wie das Kind auf dem Arm des Soldaten. Verstehst du das?«
Dietrich hatte es nicht verstanden, sondern nur Verwirrung und Verlust gespürt. Trotzdem hatte er genickt aus Angst, den Oberst zu enttäuschen.
Jetzt, hier, etwa vierzig Jahre später wurde Hauptkommissar Dietrich von denselben Gefühlen aufgewühlt, und von Wut und Verzweiflung und…
Sein Handy klingelte. Er überlegte, das Gespräch nicht anzunehmen, zog das Telefon aber schließlich doch aus der Tasche. »D ietrich«, meldete er sich.
»H ier ist…«, meldete sich Mattie.
»I ch weiß, wer Sie sind«, brummte Dietrich. »W eigel hat mich vor zwei Stunden angerufen und mich über den Mord an Herrn Jäger informiert und weiterhin darüber, dass Sie und Herr Burkhart in Frankfurt wegen Autodiebstahls und als Zeugen zu eben diesem Mord gesucht werden.«
»D as ist unwichtig«, wimmelte Mattie ab. »W ir wissen jetzt, wer der Mörder ist.«
Wie eine Schildkröte, die in der Ferne ein Geräusch hört, zog Dietrich den Kopf zurück. »H ermann Krüger?«, fragte er. Plötzlich schien der Alkohol mit voller Wucht zuzuschlagen.
»N ein«, widersprach Mattie. »E r heißt Falk. Bis jetzt noch ohne Vornamen. Er ist der Sohn des Mannes, der das Schlachthaus in Ahrensfelde geleitet hat. Haben Sie wieder getrunken, Herr Dietrich?«
»H abe ich«, gab Dietrich zu. »I ch habe heute meinen Vater beerdigt. Meinen letzten Verwandten.«
Es herrschte einen Moment Schweigen in der Leitung. »N och mal mein herzliches Beileid, Herr Dietrich«, sagte Mattie schließlich. »S oll ich die Information lieber an Frau Weigel weitergeben?«
Dietrich musste einen inneren Kampf ausfechten. Einerseits wollte er alles auf Weigel abwälzen, doch seine unersättliche Neugier ließ sich nicht unterdrücken. »N ein. Schießen Sie los.«
Wolken zogen vor den Mond und tauchten Dietrich und das Kriegerdenkmal in Dunkelheit. Nur ein schmaler Streifen Mondlicht ergoss sich über die Statue, während Mattie ihm einen kurzen Abriss über ihre Aktionen in Frankfurt am Main und eine Zusammenfassung von Ilona Freis Geschichte gab.
Während sie sprach, stieg Magensäure in Dietrichs Kehle hinauf. Am Ende von Matties Bericht fühlte er sich wie eine Marionette, deren Fäden abgeschnitten worden waren. Er schwieg lange und ließ seine betrunkenen Gedanken kreisen, um aus dem Bericht seine Schlussfolgerungen ziehen zu können. Einige Überprüfungen, die sich nicht vermeiden ließen, gefielen ihm nicht. Kein bisschen. Trotz seines Stolzes, seiner ethischen Vorstellungen und seines Pflichtbewusstseins drängte sich ihm ein anderes Bewusstsein auf, eines, das seine eigenen Interessen weit mehr berücksichtigte als je zuvor.
»H err Dietrich?«, fragte Mattie. »S ind Sie noch dran?«
Schließlich räusperte sich Dietrich. »I hre Quellen sind Prostituierte und eine schizophrene Methadonabhängige«, fasste er zusammen. »S ehe ich das richtig?«
»J a«, musste Mattie einräumen. »A ber ich vertraue ihnen.«
Hauptkommissar Dietrich lachte spöttisch. »D eswegen arbeiten Sie für Private und ich noch für die Berliner Kripo. Als Mitarbeiter im öffentlichen Dienst muss ich abwägen, welchen Quellen ich vertraue, bevor ich meine Leute losschicke.«
»G reta Amsel ist tot«, beharrte Mattie. »I ch habe den Mord an Artur Jäger mit eigenen Augen beobachtet. Und ich glaube, die Leiche neben der von Chris war Ilse Frei.«
»A gnes Krüger ist ebenfalls tot«, schoss Dietrich zurück. »U nd ich glaube mittlerweile, dass Hermann Krüger derjenige ist, der Chris und die anderen umgebracht hat.«
»N ein, das ist eine andere Geschichte. Glaube ich.«
»A ch ja? Mir erscheint meine Version aber logischer als eine verrückte Geschichte über das Schlachthaus und einen schwarzen Mann namens Falk.«
»V ielleicht sind Krüger und Pavel ein und derselbe Mensch«, hielt Mattie dagegen. »O der Pavel und Falk.«
Dietrich bleckte die Zähne. »V ielleicht. Ich werde sie fragen.«
»D as heißt, Sie werden nicht mit Ilona Frei reden?«, bohrte Mattie erbittert nach. »U m sich ihre Geschichte aus erster Hand anzuhören?«
Langsam bekam Kommissar Dietrich eine Vorstellung von seiner eigenen Vorgehensweise. »D as werde ich zu gegebener Zeit tun, Frau Engel. Bis dahin verbringe ich meine Zeit am besten mit der Jagd nach Hermann
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